Seine Inszenierung von Calderons "Das Leben ein Traum" wird die Saison am Wiener Burgtheater eröffnen: Martin Kušej.

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Zwei Produktionen musste er absagen: den Peer Gynt und ein Theaterprojekt der Regisseurin Katie Mitchell. Alle anderen Premieren, die im Frühjahr nicht stattfinden konnten, will Martin Kušej nachholen. Trotz Maskenpflicht in den Gängen des Theaters wirkt der Burgtheaterdirektor nach einem halben Jahr Schließzeit zuversichtlich und ambitioniert.

STANDARD: Steigende Infektionszahlen, die Einführung der Corona-Ampel: Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den Theaterherbst?

Kušej: Ich bin noch immer optimistisch. Wir bieten den Besuchern ein schlüssiges Hygiene- und Präventionskonzept. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass es zu Infektionen kommt. Wichtig ist dann natürlich eine schnelle Informationskette und eine enge Zusammenarbeit mit den Behörden. Wie man das bei den Salzburger Festspielen umgesetzt hat, das hat mich als Besucher sehr beruhigt.

STANDARD: Ihr Modell weicht vom Salzburger erheblich ab.

Kušej: Wir arbeiten nicht mit einem Schachbrettmuster, sondern mit einem dynamischen Modell. Wir gehen abseits von Einzelpersonen von Besuchergruppen aus. Links und rechts von ihnen muss jeweils ein Platz frei bleiben.

STANDARD: Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler empfiehlt, ohne Pausen zu spielen, auf Buffets zu verzichten. Nehmen Sie Risiko in Kauf?

Kušej: Wir versuchen, möglichst ohne Pausen zu produzieren, aber bei manchen Stücken braucht es einfach eine. Es gibt im ganzen Haus eine Maskenpflicht, und natürlich muss auch die Abstandsregel eingehalten werden. Zudem lenken wir die Besucherströme, benutzen alle Seiten- und Nebeneingänge.

STANDARD: Auf welche Änderungen müssen sich die Besucher einstellen?

Kušej: Das Wichtigste ist, dass alle Karten personalisiert sein müssen. Wir sagen jedem Besucher, welcher Eingang benutzt werden muss, zusätzliches Personal weist auf die Sitze hin, damit es zu keinen Stausituationen kommt. Mit Betreten des Hauses muss ein Mund-Nasen-Schutz bis zum Sitzplatz getragen werden, und wir empfehlen, diesen auch während der Vorstellung weiter zu tragen.

STANDARD: In Deutschland hat man die Besucheranzahl drastisch reduziert. In ein Haus wie das Burgtheater dürften um die 200 Besucher. Bei Ihnen sind es erheblich mehr.

Kušej: Mit dem dynamischen Modell haben wir keine feste Besucherzahl, wir gehen von etwa 400 bis maximal 800 Besuchern aus. Viele deutsche Kollegen kritisieren die Kulturpolitik für diese krasse Beschränkung vehement. Das kann ich gut verstehen. In Deutschland werden die Maßnahmen rigoros über die Köpfe der Kulturverantwortlichen hinweg durchgezogen. In Österreich hat man den Dialog gesucht. Das halte ich für ein sehr vernünftiges Vorgehen.

STANDARD: Sie selbst sind für Ihre klaren Worte bekannt. In den vergangenen Monaten war Ihre Stimme kaum zu vernehmen. Warum so leise?

Kušej: Ich war nicht leise, ich habe in mehreren Medien deutliche Worte gefunden, insbesondere nach der verunglückten ersten Runde mit kulturpolitischen Maßnahmen. Mir war wichtig, ruhig und besonnen und, wenn Sie so wollen, im Hintergrund zu agieren. Mir war da zu viel Getöse. Mir wäre zu vielen Punkten auch nichts Neues eingefallen.

STANDARD: Haben es manche Ihrer lauteren Kollegen übertrieben?

Kušej: Das habe ich so empfunden. Ich habe das als österreichisches Phänomen wahrgenommen. In der österreichischen Kulturszene herrscht ein gewisser Vampirismusreflex, der mir fremd ist.

STANDARD: Besonders laut war Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger.

Kušej: Ich war mit Föttinger viel im Kontakt, so wie ich überhaupt mit meinen Kolleginnen und Kollegen einen sehr offenen und kollegialen Austausch habe.

STANDARD: Die Wadlbeißereien im Umfeld der Festspiele deuten auf wenig Kollegialität in der Branche hin.

Kušej: Ich war 26 Jahre in Deutschland und hatte schon vergessen, dass es solche Verhaltensweisen überhaupt gibt, denn ich habe meistens den Konsens gesucht. Ich habe keine Lust, mich in diese Skandalisierungskultur einzureihen.

STANDARD: Sie haben sich nicht mal über Albertina-Direktor Schröder geärgert, der meinte, man könne für eine gewisse Zeit aufs Theater verzichten?

Kušej: Die Aussage diskreditiert sich selbst. Das war Sommertheater.

STANDARD: Sie haben bis zum 31. August einen Einnahmenentfall von 3,2 Millionen Euro angegeben. Die erste Tranche der Hilfsgelder wurde ausbezahlt, welchen Bedarf haben Sie noch?

Kušej: Wir werden das Bilanzjahr 2019/20 ohne große Probleme abschließen, da uns die Kurzarbeit geholfen hat. Im Jahr 2020/21 kommen durch die Sicherheitsmaßnahmen und Mehraufwand für die notwendige Besucherinformation sicherlich ungeplante Ausgaben hinzu. Bei den Einnahmen haben wir zurückhaltend geplant, aber die Einnahmen lassen sich mit dem dynamischen System nur grob schätzen, und wir müssen dann letztlich von den verkauften Karten ausgehen.

STANDARD: Wie läuft der Verkauf?

Kušej: Der Vorverkauf läuft gut, die Sehnsucht nach Theater ist groß, es könnte aber noch besser sein.

STANDARD: Sie eröffnen die Saison mit Calderons "Das Leben ein Traum", ein Stück des 17. Jahrhunderts, in einem strengen Versmaß, beinahe ein Märchen. Warum dieses Stück nach einem halben Jahr Schließzeit?

Kušej: Im Grunde geht es darin um unsere Idee von Freiheit. Wie geht der jahrelang weggesperrte Königssohn mit seiner plötzlichen Freiheit und Macht um? Der Protagonist wird durch traumhafte, aber schreckliche Ereignisse geläutert und damit zu einem positiven Mitglied der Gesellschaft. Bei Grillparzers Der Traum ein Leben ist das ein biedermeierlicher Ansatz, wobei man meist nicht erkannt hat, wie doppeldeutig diese Botschaft ist.

STANDARD: Calderon klingt dagegen hoffnungslos idealistisch.

Kušej: Genau das stelle ich infrage. Wie man mit der freien Entscheidung eines Individuums umgeht, um es zu manipulieren und Machtpolitik zu untermauern, das möchte ich zeigen. Ich will erzählen, wie der neue Herrscher zur populistischen Machtmaschine wird.

STANDARD: Wie haben Sie die österreichischen Machtträger in den vergangenen Monaten wahrgenommen?

Kušej: Diese Situation war ein Stresstest für die Demokratie, schnelles Agieren und rasches Entscheiden standen manchmal dem demokratischen Prozess einer vorangehenden Debatte entgegen. Sicherlich hätte es solcher Debatten bedurft. Das persönliche Reflektieren, was macht die Politik, der Staat mit mir, tritt hierzulande öfter in den Hintergrund. Es gibt eine Tradition des "Unterordnens"; noch schlimmer die "Vernaderung".

STANDARD: Am Anfang der Krise sagten Sie, dass Sie darauf hoffen, dass wir aus dieser Pandemie gestärkt hervorgehen. Ihr Zwischenresümee?

Kušej: Ich habe Angst, dass wir schnell wieder zur Tagesordnung übergehen werden. Eine tiefere Reflexion, was da genau mit uns passiert ist, die werden wir auch im Theater anstellen. Zum Glück können wir jetzt wieder loslegen. (5.9.2020, Stephan Hilpold)