Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie sehr unsere Welt auf Rollen, Status und Äußerlichkeiten aufgebaut ist. An sich würde man glauben, dass es auf den Menschen, seine Fähigkeiten und seinen Charakter ankommt. Diese Annahme gilt allerdings nur im Längsschnitt des Lebens, aber nicht für schnelle, intuitive Einschätzungen und Bewertungen. Leider eine Tatsache unserer komplexen Welt, die zusehends auf menschlichen potemkinschen Dörfern basiert. Der Mensch ist oft darauf angewiesen, seine Entscheidungen in Millisekunden auf Basis von Intuition und weniger auf Ratio fokussiert zu treffen. Dies geht übrigens auch allen Experten so. Die Macht des Unbewussten ist nicht zu unterschätzen.

Wenn die Oberflächlichkeit regiert

Egal ob es der Bankberater ist, der uns mit oberflächlichem Charme und ganz ohne Eigennutzen eine neue Anlageform schmackhaft macht, oder der sympathische Schwiegersohn mit versteckten soziopathischen Zügen, der der Oma so gut gefällt, weil eben adrett gekleidet und mit guten Manieren ausgestattet, unsere Welt ist voll mit Tarnern und Täuschern. Zu einem gewissen Grad ist das ganz normal, denn wir alle spielen unsere Rolle. Problematisch wird es dann, wenn die Diskrepanz zwischen der Außenfassade und den durch die formale Funktion zu erfüllenden Anforderungen zu groß wird. Besonders gut bildet der Film “American Psycho“ dieses gesamtgesellschaftliche Dilemma ab. Dieser schildert Episoden aus dem Leben eines New Yorker Investmentbankers dessen Leben von Luxusgütern, Äußerlichkeiten und dem Wunsch nach Zugehörigkeit zur Elite bestimmt ist. Parallelen zu aktuellen Politikertypologien sind rein zufällig.

Was steckt hinter der Fassade?
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Politik als Rollenspiel

Schemata sind Hilfsmittel für Menschen, um den komplexen Informationen, die diese über ihre Sinnesorgane wahrnehmen, eine Bedeutung zuzuordnen. Sie helfen uns, uns in verschiedenen Situationen besser zurechtzufinden und sind somit eine Form der Informationsreduktion. Oft sind nur in überraschenden und besonders wichtigen Situationen bewusste kontrollierte Kognitionen und nicht Schemata für den Homo sapiens handlungsleitend. Schemata steuern somit die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung des Menschen und in der Konsequenz sein Handeln. Derartige Informationsverarbeitungsmechanismen finden gleichsam in der Politik statt. Ob dies nun der betuliche Volksschullehrer ist, der weiß wie man seinen Kindern, den Wählern, ein komplexes Thema wie Corona nahe bringt oder die Bescheid wissende Medizinerin, die sich schwer tut, aufgrund ihres Gestus und Habitus mit oder ohne Arbeitsmontur in der Rolle der Arbeiterführerin aufzugehen.

Das Kurzschema

Meister der Nutzung des Phänomens der kultivierten Projektionsoberfläche und des Politschemas sind - ohne jeglichen Zweifel - der momentane Kanzler und sein Team an strategischen Beratern im Hintergrund. Wie kein Zweiter beherrscht es Sebastian Kurz viele Attributionen in Bezug auf verschiedenste Zielgruppen auf sich zu vereinen. Im Sinne des biografischen Inventars ist seine Konkurrentin Pamela Rendi-Wagner zwar akademisch gesehen erfolgreicher, jedoch tangiert dieses Faktum seine Anhänger weniger. Dissonanzen werden im Sinne der Konsistenz des Schemas gekonnt verdrängt. So fehlen dem Kanzler ja nur mehr wenige Prüfungen bis zum Studienabschluss. Hier wird sogar das konservative Leistungsweltbild hintangestellt. Im Leben geht es um Stimmigkeit und Konsistenz und hier hat Kurz eindeutig die Nase vorne. Die Frage nach der Halbwertszeit derartiger Politarchetypen wird von den Anforderungen der Realität beantwortet werden. (Daniel Witzeling, 9.9.2020)