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Die Weinanbaufläche bleibt in Wien konstant, auch in Döbling. Weil für die Weingärten hoher Landschaftsschutz gilt, schielen Immobilienentwickler wegen der hohen Immobilienpreise im 19. Bezirk auf die alten Ortskerne. Oft müssen für Bauprojekte eingesessene Heurigen weichen.

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Covid-19 hat alle Gastronomen hart getroffen, auch die Heurigen in Döbling. Aber ein bisschen hofft man dort trotzdem auch darauf, dass sich die Wiener wieder auf die einst so beliebten Schanken besinnen. Auch wenn die Touristen wegblieben, die Gastgärten vieler Heurigen waren nach dem Shutdown voll. Freie Luft und geselliger Wein gingen den Wienern im Frühling offenbar ab.

Auch Matthias Hengl freute sich nach dem Shutdown über regen Besuch, der Gastgarten seines Heurigen Hengl Haselbrunner war voll. Und das, obwohl es kaum Touristen in der Stadt gab. Nur eines wunderte den Weinbauern: Die Leute waren so fürchterlich grantig. "Da wurde mir klar, dass die Wiener Seele wieder aufgewacht ist", sagt Hengl. "Die Wiener sind einfach so." Und die Döblinger Weindörfer mit ihren Heurigen gehören zu den Wienern dazu.

Familiär geführte Betriebe

Seinen Wein baut Hengl am Hackenberg an, eine der besten Anbaugegenden Wiens nicht weit von Grinzing. Dass seine Buschenschank in der Iglaseegasse an begehrter Adresse liegt, lässt sich auch an den Baustellen ablesen, die in seinem Gastgarten für ein permanentes Hintergrundgeräusch sorgen. "Ich bekomme immer wieder Angebote von Immobiliengesellschaften", sagt Hengl. Ans Verkaufen denkt er aber nicht. "Ich bin Weinbauer, was soll ich denn sonst machen, wenn ich verkaufe?"

Viele Döblinger Heurigenbesitzer geben dem Druck des Immobilienmarkts jedoch nach. Besonders wenn die Nachfolge in den oft familiär geführten Betrieben ansteht, fällt die Entscheidung zugunsten eines Wohnbauprojekts aus und gegen einen anstrengenden und nicht gerade überbezahlten Job. In den 1950er-Jahren gab es in Döbling noch über 280 Heurigen, heute sind es rund 40.

Unesco-Kulturerbe

Die Zahl der Heurigen und Buschenschanken, aber auch die der Weinanbaufläche in der Bundeshauptstadt ist bereits seit Jahren konstant, relativiert die Wiener Landwirtschaftskammer. Zwar würden Heurigen zusperren, dafür gebe es gerade in den Weingärten immer wieder Neuanmeldungen von Buschenschanken. Ein Sterben der Wiener Heurigenkultur, die seit vergangenem Jahr auch als Unesco-Kulturerbe gilt, sehe man nicht.

Österreich ist ein Weißweinland.

Hengl sieht das etwas anders. Wenn die Heurigenkultur zum Kulturerbe erklärt wird, heiße das ja nichts anderes, als dass sie vom Aussterben bedroht ist. "Warum soll man sie denn sonst schützen?" Der Druck des Immobilienmarkts auf Heurigenbetreiber ist jedenfalls groß, berichtet Immobilienexperte Peter Marschall von Marschall Real Estate: "Weil Weinanbauflächen geschützt sind, kann Döbling an seinen Rändern kaum wachsen." Das mache die Heurigen umso interessanter für Investoren, die im 19. Wiener Gemeindebezirk Wohnprojekte umsetzen wollen. Immerhin sei Döbling nach der Inneren Stadt der Bezirk mit den höchsten Immobilienpreisen.

Gastgarten stört Anrainer

Aber der Wohnbau macht es Döblings Heurigen auch deshalb schwer, weil ihre Gastgärten zunehmend in dichter besiedelte Wohngebiete hineinwachsen. Immer häufiger erreichen ihn Beschwerden wegen der Lärmbelastung, berichtet Hengl – und das oft lange vor Sonnenuntergang. Beirren lassen will er sich davon nicht. "Im Corona-Sommer haben wir unser Geschäft fast ausschließlich mit dem Garten gemacht, die Menschen wollen verständlicherweise nicht drinnen sitzen", sagt der Weinbauer. Fast jeden Abend wird in Hengls Gastgarten musiziert, oft sorgt seine Frau, eine Dudlerin, für Unterhaltung.

Ortsbild muss stimmen

Man habe deshalb bereits vor dem Corona-Ausbruch einen Gipfel mit Landwirten aus der Region veranstaltet, um zu erfragen, wo genau der Schuh drückt und was man für Döblings Weinkultur tun könnte, sagt Bezirksvorsteher Daniel Resch von der ÖVP. Allerdings habe er als oberster Döblinger nur begrenzte Mittel, um die Heurigenkultur am Leben zu erhalten. "Ich kann niemandem verbieten, seine Immobilie zu verkaufen und aus einem Heurigen Luxuswohnungen zu machen", sagt Resch: "Aber ich kann dafür arbeiten, dass wenigstens das Ortsbild gewahrt bleibt."

Bezirksvorsteher Daniel Resch (ÖVP) setzt gegen das Heurigensterben aus Ensebleschutz. Wenigstens die Fassaden sollen bleiben – die geschützten Weingärten sowieso.
Foto: Andreas Urban

Ortsbild und Kultur sind aber nicht dasselbe, heißt es vonseiten der Weinbauern. Auch Sievering hatte einst eine lebendige Heurigenkultur, neben manchen Fassaden ist aber wenig erhalten geblieben. In Nussdorf gibt es noch etwas mehr Heurigen, aber auch hier verweisen betagtere Ansässige auf zahlreiche Häuser, die sich heute noch gut ins Ortsbild einfügen, aber längst keine Heurigen mehr sind.

Damit Döblings viele Ortskerne nicht zu einer Art von Potemkinschen Dörfern verkommen, müsse man an der Erreichbarkeit arbeiten und die Neugier der Menschen schüren, so Resch. "Wichtig war zum Beispiel, dass der Heurigenexpress nun beim Bahnhof Heiligenstadt abfährt. Man könnte Spazierwege mit Tafeln beschildern, wo Wissen über Weinbau und die Heurigenkultur vermittelt wird", denkt er laut über Maßnahmen gegen das Heurigensterben nach.

Ruf als Nobelbezirk

Die Homepage des Wohnbauprojekts, das gerade hinter Hengls Gastgarten entsteht, schwärmt von der großartigen Lage der neuen Wohnungen. Im schönen Döbling lasse sich das Leben in vollen Zügen genießen – auch wegen der traditionellen Heurigen gleich in der Nachbarschaft. Das soll potenzielle Neo-Döblinger dazu anregen, möglichst schnell zuzuschlagen.

Aber es verdeutlicht auch den Konflikt des 19. Bezirks, der sich an den Stadträndern seinen Ruf als Nobelbezirk redlich verdient. Schön ist es hier, auch wegen der Heurigen. Aber weil immer mehr Menschen in diese schöne Gegend ziehen wollen, sterben genau diese Heurigen vor sich hin. (Aloysius Widmann, 9.9.2020)