Animace/Animácia: 100 Jahre tschechoslowakischer, tschechischer und slowakischer Animationsfilm im Filmmuseum.

Foto: Filmmuseum

In einer Zeit, in der das Fernsehen noch nicht pausenlos sendete, war das Weihnachtsprogramm eine Sensation: es begann schon am Vormittag, und hielt viele Kinder bis zur Bescherung gebannt vor der Kiste. Unter den Märchen und Abenteuern, die da aufeinander folgten, waren traditionell auch viele aus dem damaligen Ostblock, denn das war eine Domäne der kommunistischen Filmwirtschaften: sie verstanden sich auf das Handwerk der Animation. Es gab viele kollektive Walt Disneys.

Die vielleicht bedeutendste dieser künstlerischen Werkstätten leistete sich die Tschechoslowakei, wo die Prager Studios schon 1945 verstaatlicht wurden, also noch vor der Machtübernahme der Kommunisten. Das Filmmuseum widmet der enormen Produktivität in dem Nachbarland, aus dem inzwischen zwei geworden sind, nun eine umfassende Retrospektive: Animace/Animácia sollte ursprünglich schon im April und Mai des Jahres laufen, und kann nun mit einigen Einschränkungen, aber doch nach wie mit einer beeindruckenden Programmvielfalt stattfinden: 100 Jahre tschechoslowakischer, tschechischer und slowakischer Animationsfilm lautet der Untertitel, womit auch gleich klar ist, dass es nicht nur um Prag geht, und dass die Geschichte mit der Revolution von 1989 nicht zu Ende ging.

Bewegte Zeiten, bewegte Figuren

Ein nicht geringer Teil der Filme stammt aus der jüngeren Vergangenheit, sodass man durchaus spannende Beobachtungen anstellen kann, wie sich die Vorstellungskraft in einer freien Gesellschaft (unter den Kommunisten herrschte Zensur) entwickelt. Dafür wird man sich aber zuerst einmal einige Klassiker ansehen: Karel Zeman brachte es damals zu weltweiter Berühmtheit mit seiner Rekonstruktion der Evolution auf dem Planeten Erde, für die er alle möglichen Techniken verwendete, notabene Stop Motion, also von Hand von Einzelbild zu bewegte Figuren (Reise in die Urzeit, 1955).

Mit Vynález zkázy (Die Erfindung des Verderbens, 1958) schuf er eine Jules-Verne-Adaption, die ebenso technikkritisch wie bilderfantastisch war – und auch zur antikapitalistischen Ideologie der CSSR passte.Vergleichbar bedeutend ist Jiri Trnka, der einen wunderbaren Sommernachtstraum schuf, mit dem kürzeren Ruka (Die Hand) aber auch eine der großen Allegorien auf das Ungleichgewicht zwischen einem kleinen Menschen und einem System mit großem Zeigefinger. Gemeinsam mit dem kanonischen Jan Svamkmajer bilden diese Filme das Rückgrat der Schau.

Man wird Animace/Animácia aber besser gerecht, wenn man sich ein wenig auf die Suche begibt, auch in den Kurzfilmprogrammen. Manche dauern kaum ein paar Minuten, wie Projekt von Jiri Barta, eine brillante (buchstäblich mit der Walze daherkommende) Satire auf Gleichmacherei in einem System, das jede Utopie tilgt. Oder eine sehr anzügliche Straßenbahnfahrt von Michaela Pavlátová (Tramvaj, 2012), von der man als Kind wohl überfordert gewesen wäre. Nun aber kann man das Animationskino, mit seinen Puppen, Zeichentrickbilder, Plastilinfiguren, mit seiner durch keinen Computerspezialeffekt jemals zu übertrumpfenden Haptik in seiner ganzen filmhistorischen Größe würdigen – und sich trotzdem, so es der Jahrgang hergibt, auch an das Glück von damals erinnern. /Bert Rebhandl)