Schilderungen eines Exmitarbeiters der Commerzialbank lassen tief blicken. Er meint, die Malversationen hätten längst aufgedeckt werden können.

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"So viel Angst auf einem Haufen, so wenig Wissen und so wenig Strukturen habe ich noch nie gesehen, fast alle Mitarbeiter haben ihren Kopf in den Sand gesteckt": So beschreibt ein Ex-Mitarbeiter die Eindrücke, die er in seiner Zeit bei der burgenländischen Commerzialbank gesammelt hat.

Der Mann, nennen wir ihn der Diskretion halber Miller, hat bis vor nicht allzu langer Zeit in Mattersburg gearbeitet. Unter anderem fiel das Kreditgeschäft in seinen Tätigkeitsbereich in dem Geldhaus, das im August unter einem Schuldenberg von 528 Millionen Euro in sich zusammengekracht ist.

Nur nicht auffallen

Laut dem Exmitarbeiter lag die IT darnieder, habe die Belegschaft alles getan, was Bankchef Martin Pucher und dessen Kollegin K. angeschafft hätten – teils aus Unwissen übers Bankgeschäft, teils aus Angst um den Job. "Jeder hat sich geduckt, bloß nicht auffallen" sei die Devise gewesen. Er selbst habe mit seinen Verbesserungsvorschlägen auf Granit gebissen, sagt Miller im Gespräch mit dem STANDARD.

Zur Erinnerung: Pucher und K. haben hunderte Kreditfälle erfunden, wie sie gestanden haben, zuletzt waren von der Bilanzsumme von rund 800 Millionen Euro ungefähr 688 Mio. Euro gefälscht. Aufgeflogen war das anlässlich einer Vor-Ort-Prüfung der Bankenaufseher aus der Notenbank (OeNB), die durch die Anzeige eines Whistleblowers bei OeNB, FMA und Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) an Dynamik gewonnen hatte.

Nach rund einem Jahr hat er die Bank in Mattersburg dann wieder verlassen, wie er erzählt. Seine Schilderungen decken sich mit jenen von Zeugen- und Beschuldigteneinvernahmen.

Unwissen und Wissen

Schon als er seinen Job antrat, sei er "aus allen Wolken gefallen", schildert Miller, "so wenig Wissen wie in der Kreditabteilung der Commerzialbank habe ich noch nie gesehen". Seinen Vorschlag, die Leute auf Weiterbildungskurse zu schicken, habe der Vorstand abgeschmettert. Was angesichts der Tatsachen, die man nun kennt, nicht verwundert. Pucher und K. hatten auf die erfundenen Konten allein Zugriff und sagen aus, niemand sonst habe über ihre Malversationen Bescheid gewusst.

Das freilich relativiert der Ex-Mitarbeiter der Bank, Miller: Bis auf eine Handvoll Mitarbeiter hätten alle zumindest geahnt, dass in der Bank nicht alles mit rechten Dingen zuging. Er selbst habe K. darauf ansprechen wollen, dass nur sie Zugriff auf die Daten bestimmter Konten habe, "aber mit ihr reden ging nicht", wie er meint. Und mit Pucher? "Der konnte nicht einmal den Rechner aufdrehen."

Keine Sicherheiten

Tatsächlich strotzten die (Fake-) Kreditakten vor Seltsamkeiten. Ein Kreditnehmer – Unternehmer aus der Gegend und in einer Gesellschaft des Fußballvereins SV Mattersburg (SVM) aktiv –, der über ein Vermögen von rund zwei Millionen Euro verfügte, brachte es auf einen Kredit von 23 Mio. Euro. Ohne Sicherheiten. Der Angehörige eines Sponsors des SVM, dessen Präsident Pucher war, bekam 650.000 Euro für den Hausbau. Auf die Eintragung ins Grundbuch verzichtete die Bank.

Keine Absicherung im Grundbuch, das gehörte vor allem bei den erfundenen Krediten für Ärzte dazu, die wären ja sonst aufgeflogen. Wie berichtet, ging ein Großteil der Fake-Kredite an Mediziner, deren Daten K. in Grundbuch und Internet recherchiert haben will.

Um da immer à jour zu sein (auch Ärzte können sterben, ihre Häuser und Wohnungen gehen dann an die Erben), gab es eine Mitarbeiterin in der Bank, die täglich das Grundbuch durchforsten musste, um allfällige Änderungen bei den Eigentumsverhältnissen zu finden.

Tod unter Beobachtung

War wirklich jemand gestorben oder eine im "Kreditvertrag" erwähnte Immobilie veräußert worden, wurde der "Kredit" auf die Erben umgeschrieben oder von Pucher bzw. K. quasi abbezahlt – der nächste Arzt konnte einen "Kredit" bekommen.

Was Mitarbeitern laut Miller hätte auffallen müssen: dass Saldenverläufe nicht passten, Kunden beste Bonität bescheinigt war, die Einkommensnachweise dafür aber fehlten, dass Unterschriften unter Verträgen fehlten oder immer gleich aussahen. Pucher hat sie gefälscht, wie man heute weiß. Für ihn und K. gilt die Unschuldsvermutung.

36.000 Euro bar im Monat

Auch seltsame Kreditraten hätten laut Miller auffallen müssen. Etwa beim Fake-Kreditfall W.: Da bekam eine deutsche Kundin im Juni des Vorjahres 4,5 Mio. Euro Kredit, für den ihre 88-jährige Mutter haftete, die aus Mattersburg kommt. Kreditlaufzeit: 15 Jahre. Die Rate wurde bar eingezahlt: 35.765 Euro. Im Monat. Heute weiß man aus Aussagen von K., dass ein Konto dieser Familie Drehscheibe für Bartransaktionen und fingierte Sponsorleistungen für den SVM gewesen ist.

Das Bargeld, das Pucher mittels gefälschter Barschecks abzuheben bzw. später mitunter auch wieder einzuzahlen pflegte, soll recht leger gelagert worden sein: Hunderttausende Euro seien in Schuhschachteln im Tresor gelegen.

Kollegen informiert

Miller meint übrigens, die Malversationen hätten auch bei Prüfungen auffallen können, etwa rund um Meldungen an die Einlagensicherung: "Wenn man etwas hätte finden wollen, wäre es leicht gewesen." Und was tat Miller mit seinen Erkenntnissen und Ahnungen? Er habe zwei Kollegen darauf hingewiesen, welche Kredite und Kunden sie sich genau anschauen sollten. Ob sie das taten, das wisse er freilich nicht. (Renate Graber, 7.9.2020)