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Der deutsche Außenminister Maas forderte Russland auf, zur Aufklärung der Vergiftung Nawalnys beizutragen.

Foto: AP / Stefanie Loos

Berlin/Moskau – Der deutsch-russische Streit um die Ermittlungen zum Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hat sich weiter verschärft. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) wies am Sonntagabend die Vorwürfe aus Moskau zurück, Deutschland verschleppe die Ermittlungen. Er sprach von einer "weiteren Nebelkerze" aus Russland zu dem Fall.

Rechtshilfeersuchen zugestimmt

Maas sagte in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin", die deutsche Bundesregierung habe einem Rechtshilfeersuchen der russischen Staatsanwaltschaft "längst zugestimmt" und dies auch bereits vor einer Woche dem russischen Botschafter in Berlin mitgeteilt. Der Außenminister verwies zugleich auf noch laufende Untersuchungen an der Berliner Charité, wo der russische Oppositionelle behandelt wird.

Maas forderte, Russland müsse seinerseits seine Untersuchungsergebnisse nach der zweitägigen stationären Behandlung Nawalnys im sibirischen Omsk an Deutschland übergeben. "Viele Spuren" zu dem Fall lägen bisher nur in Russland vor. Wenn Moskaus keine Beiträge zur Aufklärung liefere oder "weiter solche Nebelkerzen gestartet werden", sei dies ein weiteres Indiz dafür, "dass man etwas zu verbergen" habe.

Kritik aus Moskau

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hatte zuvor auf Facebook geschrieben: "Berlin verzögert die Untersuchung, zu der es selbst aufruft. Mit Absicht?" Berlin habe nicht auf ein Rechtshilfeersuchen der russischen Staatsanwaltschaft vom 27. August reagiert, monierte Sacharowa. "Bisher sind wir nicht sicher, ob Deutschland nicht ein doppeltes Spiel spielt."

Nawalny wird seit dem 22. August in der Berliner Charité behandelt, nachdem er zwei Tage zuvor während eines Fluges in Russland zusammengebrochen war. Die deutsche Bundesregierung erklärte am Mittwoch, dass Nawalny "zweifelsfrei" mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe vergiftet worden sei. Das Gift war in den 1970er-Jahren von sowjetischen Wissenschaftlern entwickelt worden. Moskau weist jede Schuld am Gesundheitszustand des prominenten Kritikers von Staatschef Wladimir Putin zurück.

Der Arzt Alexander Sabajew, der Nawalny zunächst im sibirischen Omsk behandelt hatte, betont: "Als Toxikologe bin ich mir sicher: Es war kein Nowitschok." Das hätten Laborergebnisse erwiesen. Es habe alles auf eine Stoffwechselstörung hingedeutet. In Medizinerkreisen in Omsk hieß es sogar, die erste Behandlung in Sibirien habe Nawalny das Leben gerettet.

Auch der Kreml hat die Vorwürfe zurückgewiesen. "Versuche, Russland irgendwie damit in Verbindung zu bringen, sind für uns inakzeptabel, sie sind absurd", sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, am Montag vor Journalisten in Moskau.

Pipeline-Diskussionen

Aber zurück nach Deutschland: Die Debatte um mögliche Strafmaßnahmen gegen Russland wegen des Nawalyn-Anschlags fokussiert sich in Deutschland auf die Pipeline Nord Stream 2, an der auch die österreichische OMV beteiligt ist. Maas hatte einen Stopp des Pipeline-Projekts nicht ausgeschlossen.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollte einen Baustopp bei Nord Stream 2 nicht ausschließen. "Es hat Russland vor allem in der Hand, ob und wie es mit Nord Stream 2 weitergehen kann", sagte Spahn am Sonntagabend im Politik-Talk "Die richtigen Fragen" auf "Bild live". Es liege klar an der Führung in Moskau, aufzuklären und aus ihrer "sehr trotzigen Haltung" herauszukommen. "Es gibt keine wirtschaftliche Frage, die am Ende wichtiger sein kann als außen- und sicherheitspolitische Interessen Deutschlands und Europas", betonte Spahn.

SPD-Chef gegen Baustopp

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans brachte hingegen starke Vorbehalte gegen einen Baustopp bei der Pipeline vor, durch die russisches Gas nach Deutschland geliefert werden soll. Nord Stream 2 sei ein Infrastrukturprojekt, das zu 90 Prozent fertig sei und der Versorgung Deutschlands diene, sagte der SPD-Vorsitzende in der ZDF-Sendung "Berlin Direkt". Mit einem Baustopp schade Deutschland "am Ende sich selbst und anderen, die hier gar nicht getroffen werden sollen". Sanktionen müssten "zielgerichtet" sein und "Hintermänner" des Verbrechens treffen.

Walter-Borjans sagte, er sei sich mit dem Außenminister einig, dass über "wirksame Sanktionen" gegen Russland diskutiert werden müsse. Einen Stopp von Nord Stream 2 hielten aber sie beide für "eine sehr heikle Frage".

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte dagegen ein rasches Aus für Nord Stream 2. Die deutsche Bundesregierung müsse dafür jetzt "einen Weg aufzeigen" sagte sie dem "Tagesspiegel". (APA, AFP, 6.9.2020)