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Der britische Premierminister Boris Johnson setzt die Europäische Union kurz vor der nächsten Brexit-Gesprächsrunde unter Druck.

Foto: REUTERS/Toby Melville/Pool//File Photo

London – Der britische Premierminister Boris Johnson setzt die Europäische Union kurz vor der nächsten Brexit-Gesprächsrunde unter Druck. Bis zum 15. Oktober soll eine Einigung zu einem Handelsabkommen auf dem Tisch liegen. Ansonsten werde es kein Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union geben, teilte Johnson am Sonntagabend in London mit.

Der EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat daraufhin der britischen Regierung Rosinenpickerei vorgeworfen. "Ich bin weiterhin besorgt", sagte Barnier am Montag dem Radiosender France Inter. "Die Verhandlungen sind schwierig, weil die Briten das Beste aus beiden Welten wollen." Er halte es aber immer noch für möglich, ein Abkommen über die besonders strittige Frage der Fischereirechte zu finden.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die Regierung Großbritanniens aufgerufen, zu ihrem Wort zu stehen. "Ich vertraue darauf, dass die britische Regierung das Austrittsabkommen umsetzt", erklärte von der Leyen am Montag auf Twitter. Die Einhaltung des Vertrages sei "eine völkerrechtliche Verpflichtung und Voraussetzung für jede künftige Partnerschaft".

Vorbild Australien

Medienberichten zufolge plant die britische Regierung – sollte man sich auf kein Handelsabkommen einigen – sogar, Teile des Scheidungsvertrags mit der EU außer Kraft zu setzen, die unter anderem die Nordirland-Regelungen betreffen. Stattdessen setze London dann auf eine Vereinbarung mit der EU nach australischem Vorbild, was laut Johnson "ein gutes Ergebnis" wäre. Die EU hat mit Australien bisher nur ein Rahmenabkommen abgeschlossen, das unter anderem technische Hürden betrifft. Im Großen und Ganzen findet der Handel zwischen Europa und Australien auf Grundlage der Welthandelsorganisation WTO statt. Auf Großbritannien übertragen wäre das dann der gefürchtete No Deal.

Laut einem Bericht der Zeitung "Financial Times" unter Berufung auf drei mit den Plänen vertraute Personen wolle die britische Regierung am Mittwoch Gesetze verabschieden, die Teile des Brexit-Abkommens über Staatshilfen und Grenzregelungen mit Irland außer Kraft setzen und einen Abbruch der seit Monaten ins Stocken geratenen Gespräche mit Brüssel bedeuten könnten. Barnier wollte zu diesem Bericht keine Stellungnahme abgeben.

Die britische Regierung hat den Bericht zurückgewiesen. London bleibe den Abmachungen über das Ausscheiden aus der EU sowie den Festlegungen bezüglich Irlands verpflichtet, hieß es am Montag in einer Stellungnahme. Großbritanniens Umweltminister George Eustice beteuerte: "Die Grundpfeiler des Abkommens werden nicht angetastet. Wir wollen nur ein paar Widersprüche beseitigen."

Keine Angst vor No-Deal-Brexit

Noch schärfer im Ton war am Sonntag der britische Chef-Unterhändler David Frost: Er sei sich völlig einig mit Johnson, dass Großbritannien von einem No-Deal-Brexit nichts zu befürchten habe, sagte er der "Mail on Sunday". "Ich glaube nicht, dass uns das in irgendeiner Weise Angst einjagt", sagte Frost in einem Interview.

"Wir werden kein abhängiger Staat werden. Wir machen keine Kompromisse bei dem Grundsatz, die Kontrolle über unsere eigenen Gesetze zu haben", sagte Frost. Die EU müsse begreifen, dass London es ernst meine und auf seine Unabhängigkeit als souveräne Nation poche. "Wir wollen die Macht bekommen, unsere Grenzen zu kontrollieren, und das ist das Wichtigste überhaupt", sagte Frost.

Verhandlungen gehen weiter

Am Dienstag sollen die seit Monaten auf der Stelle tretenden Brexit-Gespräche in London wiederaufgenommen werden, Barnier wird in London erwartet. Knackpunkte sind unter anderem das Beharren Großbritanniens auf eine vollständige Autonomie bei Staatshilfen sowie die Forderungen im Bereich der Fischerei.

Großbritannien ist im Jänner aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende gilt noch eine Übergangsphase, in der die künftigen Beziehungen etwa im Bereich Handel geklärt werden sollen. In der Übergangsphase gehört Großbritannien noch zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion, sodass sich im Alltag fast noch nichts geändert hat. Gelingt kein Vertrag über die künftigen Beziehungen, könnte es Anfang 2021 zum harten wirtschaftlichen Bruch mit Zöllen und anderen Handelshemmnissen kommen. (APA, Reuters, red, 7.9.2020)