Die Lebenserfahrung eines ausgewachsenen Elefantenbullen kommt nicht nur ihm selbst zugute, sondern auch jüngeren Artgenossen, denen er buchstäblich den Weg weist.
Foto: Imago//Matthias Graben

Elefanten neigen dazu, Dinge über den Haufen zu werfen – das schließt Klischeevorstellungen mit ein. Die Idee, dass Kraft und Köpfchen zwei Überlebensstrategien wären, die einander ausschließen, kann man bei den größten Landsäugetieren der Erde vergessen. Elefanten haben ganz eindeutig beides.

An der Kraft der Muskelpakete bestand ohnehin nie Zweifel. Im Schnitt sechs Tonnen bringt ein ausgewachsener Afrikanischer Elefantenbulle auf die Waage. Außer vielleicht einem koordiniert vorgehenden Löwenrudel mit sehr viel Jagderfahrung hat er keine natürlichen Feinde zu fürchten. Es ist aber keine rein brachiale, sondern auch eine gestaltende Kraft. Ob sie nun Schneisen durch den Wald schlagen, Vegetation abweiden oder mit ihrem Kot Pflanzensamen über viele Kilometer transportieren: Dank ihrer körperlichen Enormität brauchen Elefanten nur ihren Alltagsgeschäften nachzugehen, um massiven Einfluss auf ihre Umwelt zu nehmen. Sie gelten als "Ökosystem-Ingenieure".

Riesen auch im Geiste

Zugleich gehören sie der Crème de la Crème der tierischen Intelligenz an – zusammen mit Menschenaffen, Rabenvögeln, Papageien und Zahnwalen. 2006 sorgte ein Asiatisches Elefantenweibchen namens Happy für besonderes Aufsehen, als es versuchte, sich einen Fleck vom Kopf zu wischen, den es nur im Spiegel sehen konnte. Das Bestehen des sogenannten Spiegeltests gilt im Tierreich als Ausnahmeleistung, zu der nur sehr wenige Spezies in der Lage sind. Auch wenn es in der Wissenschaft immer noch umstritten ist, wie weit man daraus auf Selbstwahrnehmung oder gar eine Form von Ich-Bewusstsein schließen kann.

So unterschiedlich sie auch gebaut sein mögen, haben alle Intelligenzbestien unter den Vögeln und Säugetieren eines gemeinsam: Es handelt sich durch die Bank um Spezies mit einem komplexen Sozialleben. Das gilt auch für Elefanten – es hat nur etwas gedauert, bis dies erkannt wurde. Und generell haben geistige Strömungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft maßgeblich beeinflusst, wie die der Elefanten verstanden wurde.

Ein Bild im Wandel der Zeit

Solange Elefanten primär im Kontext der Trophäenjagd von Interesse waren, standen die Kühe ganz im Schatten der knapp doppelt so schweren Bullen. Mit dem Beginn der systematischen Elefantenbeobachtung im 20. Jahrhundert schälten sich aber immer deutlicher matriarchalische Züge heraus.

Die Keimzelle der Elefantengesellschaft bildet ein Familienverband, an dessen Spitze ein dominantes Weibchen steht, das bestimmt, wohin die Herde wandert. Es handelt sich in der Regel um ein älteres Exemplar, und seine Erfahrungen sind überlebenswichtig: Die Leitkuh erinnert sich, wo es Weidegründe gibt, wo sich auch in Trockenzeiten noch Wasserstellen finden lassen, und wo es so gefährlich ist, dass man beim Wandern besser einen Zahn zulegen sollte. Und wo man entspannen kann: Afrikanische Elefanten wurden bereits dabei beobachtet, wie sie beim Betreten eines Schutzgebietes sofort wieder einen Gang zurückschalteten.

Junggesellen unter sich. Ihr Zusammenleben ist strukturierter, als man bisher dachte.
Foto: Connie Allen

Auch die Matriarchatsperspektive ist aber kaum mehr als die halbe Wahrheit – denn knapp die Hälfte der Elefantenpopulation nimmt an dieser Organisationsform nicht teil. Männliche Tiere bleiben nur etwa neun Jahre im Verband ihrer Mütter, Großmütter, Tanten und Cousinen. Noch vor Einsetzen der Pubertät verlassen sie ihre Familien – doch wie sieht ihr weiteres Sozialleben aus? Forscher der Universität Exeter haben zu diesem Thema nun neue Erkenntnisse im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht.

Außerhalb der Wissenschaft sei die (völlig falsche) Ansicht weit verbreitet, dass es sich bei männlichen Afrikanischen Elefanten um notorische Einzelgänger handelt, die ihre gesellschaftlichen Auftritte auf die saisonale Begattung beschränken. Zwar sei Forschern bekannt, dass sich männliche Elefanten zu sogenannten Junggesellengruppen zusammenschließen können. Deren Sozialstrukturen wurden bislang aber weit weniger eingehend studiert als die der weiblich geführten Familienverbände, sagt Darren Croft von der Uni Exeter.

Ein jüngerer Bulle aus dem Makgadikgadi-Pans-Nationalpark findet Orientierung bei einem älteren Artgenossen.
Foto: Connie Allen

Ein Team um Crofts Kollegin Connie Allen hat sich die Sache nun etwas genauer angeschaut und die Sozialstrukturen von Junggesellengruppen im Makgadikgadi-Pans-Nationalpark von Botswana untersucht. Die Elefantenbullen wurden dafür in vier Altersgruppen eingeteilt: 10 bis 15 Jahre, 16 bis 20, 21 bis 25 und der Rest. Der Paarungswettbewerb ist dabei hauptsächlich eine Angelegenheit der Altersgruppe 26+, Jungspunde haben hier nur wenig zu melden.

Die Beobachtung der Junggesellengruppen außerhalb der turbulenten Paarungszeit ergab ein sehr eindeutiges Bild: Die Wahrscheinlichkeit, in der Gruppe eine Führungsposition einzunehmen, korreliert klar mit dem Alter. Erfahrene Bullen weisen offenbar ihren Artgenossen den Weg zu Wasser und Nahrung, sie spielen also eine Rolle, die der der Matriarchinnen der Familienverbände entspricht. Und sind damit für das Überleben der Gesamtpopulation genauso wichtig, sagt Allen. In der weitgehend geschlechtergetrennten Welt der Elefanten sind es mal Weibchen, mal Männchen, die vorangehen – aber immer die Alten.

Vermeintliche Redundanz

Es ist kein rein akademisches Wissen, das hier gewonnen wurde, es hat höchst praxisrelevante Auswirkungen: In einigen afrikanischen Staaten ist die begrenzte Sportjagd auf Elefanten erlaubt. Auch Botswana, wo die Studie durchgeführt wurde, hat angekündigt, wieder Jagdquoten einführen zu wollen. Bevorzugte Zielobjekte sind alte Bullen. Jagdanbieter können sich dabei auf die Ansicht berufen, dass diese Tiere für das Gesamtgefüge eine geringe Bedeutung hätten oder gar "redundant" seien, wie Allen sagt. Dass es sich just um die Exemplare mit den längsten Stoßzähnen handelt, dürfte zur Attraktivität dieser Sichtweise natürlich auch ein Stückchen beitragen.

Um die Elefantenpopulationen nachhaltig zu schützen, darf man nicht die Hälfte ihres Soziallebens ausklammern, schließen die Forscher. Neben Wilderei ist die fortschreitende Zersplitterung ihrer Lebensräume heute die größte Bedrohung für Elefanten. Von einem einstmals gigantischen zusammenhängenden Lebensraum sind in vielen Regionen nur noch Inseln geblieben, zwischen denen die Tiere auf ihren Wanderungen geschickt navigieren müssen. Und dafür braucht es Erfahrung. (Jürgen Doppler, 8.9.2020)