Laut Fakespot finden sich bei Amazon UK auf 58 Prozent aller Produktseiten gefälschte Testberichte.

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Die Rezensionen anderer Käufer und Produktbesitzer spielen für Konsumenten gerade beim Onlineshopping oft eine wichtige Rolle bei Kaufentscheidungen. Der Staubsauger, der fast fünf von fünf Sternen hat, fällt eher auf als das Modell mit nur vier. Und wer möchte, kann sich bei vielen Anbietern die Suchergebnisse gleich nach der Durchschnittswertung der Nutzerrezensionen sortieren lassen.

Amazon ist da keine Ausnahme und zählt zudem zu den Vorreitern, was öffentliches Kundenfeedback für sein Produktangebot angeht. Doch die Beliebtheit und der große Einfluss des Systems hat es in der Vergangenheit immer wieder zum Ziel von Betrugsmaschen gemacht. So nun auch in Großbritannien. Wie sich herausgestellt hat, haben einige der aktivsten Rezensenten offenbar massenhaft Fünf-Sterne-Bewertungen frei erfunden, wie die "Financial Times" aufgedeckt hat.

Top-Rezensent hinterließ sechs Wertungen pro Tag

Der fleißigste Rezensent etwa hinterließ im August ungefähr alle vier Stunden einen Testbericht mit der Maximalwertung. Oftmals handelte es sich dabei um Produkte völlig unbekannter chinesischer Anbieter. Der Mann soll die Artikel kostenlos bekommen und anschließend auf Ebay verkauft haben. Er streitet die Vorwürfe ab. Auch acht der neun anderen Top-Rezensenten in Großbritannien sollen schöne Wertungen für kostenlose Waren hinterlassen haben.

Amazons Richtlinien verbietet allerdings jegliche Kompensation für Bewertungen. Der Konzern betreibt selbst ein Rezensionsprogramm, Amazon Vine, über das Hersteller den Händler bezahlen und ihm Testmuster neuer Produkte bereitstellen, die dieser nachher zu Rezensionszwecken weiter vermittelt. Die Mitgliedschaft ist nicht für jeden möglich, sondern nur auf Einladung. Tester müssen in den Rezensionen auf die Bereitstellung hinweisen und dürfen die ihnen zugesandten Artikel erst nach sechs Monaten weitergeben oder verkaufen.

Hersteller ködern Kunden

Betrugsmaschen wie die nun aufgeflogene laufen jedoch anders ab. Hersteller werben mit Gratisprodukten auf sozialen Medien und lotsen Interessenten in einschlägige Gruppen oder Chatkanäle. Dort finden letztlich die Absprachen statt. Die Teilnehmer kaufen anschließend auf Amazon die Produkte, was ihren Berichten zusätzliche Glaubwürdigkeit verleiht, da Amazon "verifizierte Käufe" ausweist. Nach dem Verfassen der Fünf-Sterne-Wertung refundiert der Hersteller auf anderem Wege den Kaufpreis oder legt sogar noch extra etwas Geld drauf.

Obwohl Amazon schon Anfang August Hinweise auf die aktuelle Betrugsmasche erhalten haben soll, hat das Unternehmen erst jetzt reagiert und 20.000 Rezensionen entfernt. Der Großteil der erkauften Wertungen stammte von sieben der Top-Ten-Rezensenten in Großbritannien.

Viele Produktseiten mit Fake-Rezensionen

Man lege großen Wert darauf, dass Reviews "authentisch und relevant" seien, und unterziehe die zehn Millionen täglich eingehenden Wertungen einer entsprechenden Analyse, heißt es seitens Amazon in einer Stellungnahme gegenüber The Verge zur Angelegenheit. Man habe auch strikte Regeln für Verkäufer und Kunden aufgestellt. Wer dagegen verstößt, wird temporär oder dauerhaft gesperrt oder muss sogar mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.

Betrügerische Rezensionen sollen laut einer Untersuchung des Marktforschungsunternehmens Fakespot auf Amazon besonders häufig zu finden sein. Für das britische Angebot schätzt man, dass sich auf 58 Prozent aller Produktseiten auch gefälschte Wertungen finden. (red, 07.09.2020)