Der Schweizer Antonio Loprieno ist seit 2016 Vorsitzender des Österreichischen Wissenschaftsrats.

Foto: Heribert Corn

Der Vorstoß kam aus dem Nichts: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kündigte an, bis 2024 in Linz eine neue technische Universität errichten zu wollen. Braucht Österreich eine vierte TU neben jenen in Wien und Graz sowie der Montan-Uni Leoben? Antonio Loprieno war bereits 2011 Mitglied einer Expertengruppe, die der Regierung Empfehlungen für eine koordiniertere Weiterentwicklung des Hochschulsystems lieferte.

STANDARD: Was halten Sie vom Vorstoß, eine TU in Linz zu errichten?

Loprieno: Ich nehme ihn als sehr willkommene Initiative, in Bildung zu investieren. Aber die letzten Jahre haben gezeigt, dass die besten Investitionen jene sind, die nicht nur Masse schaffen, sondern kritische Masse. Das ist ein extrem wichtiger Faktor, gerade auch im Hinblick auf Informatik und künstliche Intelligenz. Kritische Masse in Bildung und Forschung impliziert Wettbewerbsvorteile im Sinne von Standortvorteilen. Da geht der momentane Trend in der Wissenschaftslandschaft nicht Richtung Schaffung neuer Institutionen, sondern Konsolidierung bestehender Strukturen.

STANDARD: Gibt es dafür Beispiele?

Loprieno: Ja, nehmen wir die schöne Idee der Technischen Universität Nürnberg, die seit 2018 im Aufbau ist. Das Problem ist, dass diese Entscheidung unausweichlich zum Nachteil der altehrwürdigen Universität Erlangen-Nürnberg geht. Es wäre viel interessanter gewesen, die Uni Erlangen-Nürnberg um eine technische Komponente im großen Stil zu erweitern, als etwas ganz Neues herbeizuführen. Ich habe den Eindruck, das gilt auch für Oberösterreich. Ich würde mir wünschen, falls die Entscheidung getroffen wird, dass das im Zusammenhang mit der Universität Linz passiert, gegebenenfalls mit der Fachhochschule Hagenberg – dass eine Form von Konsolidierung angestrebt wird und nicht eine Parallelisierung und Doppelspurigkeit: also eher institutionelle Integrationen als interinstitutioneller Wettbewerb. Dafür ist das Land global gesehen zu klein.

STANDARD: Es hat aber schon jetzt 23 öffentliche Unis, 21 Fachhochschulen, 16 Privat-Unis und 14 pädagogische Hochschulen. Braucht Österreich denn inhaltlich, also bezogen auf den vom Kanzler gewünschten Schwerpunkt Digitalisierung, eine zusätzliche Uni?

Loprieno: Das ist unbestritten ein Zukunftsbereich, der unbedingt auszubauen ist, aber am besten, indem man die Lehre und Forschung neu organisiert. Österreich macht das in der Forschung im Bereich Digitalisierung relativ gut, aber im Sinne von Forschungsexzellenz im Vergleich mit anderen Ländern lässt es ein bisschen zu wünschen übrig. Eine zusätzliche Uni birgt die Gefahr einer Verzettelung.

STANDARD: Welche Aspekte sind dabei zu berücksichtigen?

Loprieno: Es gibt wissenschaftliche, wissenschaftspolitische und ökonomische Aspekte für eine adäquate Einbettung dieser Initiative. Moderne Wissenschaft hat immer eine quantitative Komponente. Die Idee der vereinzelten Forscherin im stillen Kämmerchen funktioniert vielleicht noch in einigen Geisteswissenschaften, aber sicher nicht in infrastrukturintensiven Bereichen wie Informatik oder KI. Es wäre also unbedingt darauf zu achten, dass durch diese Initiative Forschende zusammenkommen und ein Mehrwert durch die Zusammenführung von Potenzial entsteht.

STANDARD: Was ist aus wissenschaftspolitischer Sicht zu bedenken?

Loprieno: Da geht es um die Positionierung der österreichischen Universitäten im internationalen Wettbewerb. Da habe ich eine gewisse Sorge. Wir hatten gerade ein schönes Beispiel mit dem letzten Schanghai-Uni-Ranking. Da sind zwei französische Universitäten – Paris-Saclay und PSL – plötzlich in sehr hohen Positionen aufgetaucht: auf Rang 14 und 36. Das ist sensationell und war nur möglich, weil da historisch ganz unterschiedliche Institutionen, einschließlich Ingenieurschulen, zusammengekommen sind und konsolidiert wurden. In diesem Sinne wäre es viel sinnvoller für die Sichtbarkeit Österreichs, auf Konsolidierung von Institutionen zu setzen.

STANDARD: Bleibt noch die ökonomische Tangente vor dem Hintergrund, dass Österreichs Universitäten nun wahrlich nicht in Geld schwimmen.

Loprieno: Es ist viel effizienter, ein zusätzliches Team an einem Standort mit Infrastruktur auszubauen, als Geld auf der grünen Wiese zu verbauen. Da sind die Kosten automatisch sehr hoch. Ich bedaure das auch, weil wir seit Jahren über eine Exzellenzinitiative auch in Österreich sprechen. Alle in der Hochschulszene sind sich einig, dass es wichtig wäre, ein Element des Wettbewerbs einzuführen, und da hätten wir gerade im Bereich Informatik die Chance, einen kompetitiven Exzellenzcluster zu machen. Es wäre traurig, wenn diese Chance durch eine Divide-et-impera-Politik verlorenginge.

STANDARD: Welche Rolle spielen in dem Zusammenhang die auch technisch starken Fachhochschulen?

Loprieno: Es ist interessant, dass der Kanzler an die Gründung einer TU denkt. Ich bin in der Tat der Meinung, dass die technischen Universitäten extrem moderne Institutionen sind, weil sie gleichzeitig an Wissenschaft und Innovation orientiert sind. Das zeigt auch ihr Erfolg. Allerdings hat man in Österreich das große Problem, dass der Fachhochschulbereich noch nicht richtig ausgebaut wurde. Der Kanzler argumentiert ja auch mit dem Fachkräftemangel. Seine Initiative wäre geradezu dazu prädestiniert, auch im FH-Bereich entsprechende Studienplätze zu schaffen, anstatt mit einer neuen Uni auf kleinstem Raum einen institutionellen Wettbewerb in einem strategisch zentralen Bereich zu provozieren, der unnötig und auch kontraproduktiv ist. (Lisa Nimmervoll, 7.9.2020)