Markus Schwarz ist der Geschäftsführer der Senecura-Gruppe und verantwortlich für 86 Pflegeeinrichtungen in und außerhalb Österreichs.

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Vertrauen haben: "Das geht nur, wenn die Kommunikation zwischen Pflegenden, den Bewohnern von Pflegeheimen und ihren Angehörigen stimmt", sagt Markus Schwarz. Er leitet 86 Einrichtungen.

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STANDARD: Wir sind mitten in der Corona-Pandemie. Sie sind Manager einer Pflegeheim-Gruppe. Wie sehen Sie den Herbst?

Schwarz: Wir gehen davon aus, dass die Infektionszahlen steigen werden. Doch wir haben in den letzten Monaten viel gelernt. Pflegeheime sind sichere Orte, und wir haben viele Maßnahmen etabliert, die die Menschen, die dort wohnen, schützen. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben, im Herbst und darüber hinaus.

STANDARD: Wie genau machen Sie das?

Schwarz: Wir haben einen Krisenstab, der für unsere 85 Einrichtungen Entscheidungen trifft.

STANDARD: Gab es diesen Krisenstab im Februar?

Schwarz: Wir haben ihn sehr rasch etabliert. Rückblickend war das entscheidend, denn in so einer Krise geht es vor allem darum, den Menschen Orientierung zu geben, also Mitarbeitenden, Bewohnern und Bewohnerinnen und ihren Angehörigen gleichermaßen. Das war nicht leicht, denn wir mussten Entscheidungen treffen, ohne dass es wirkliche Grundlagen gab. Vieles wusste man einfach nicht. Mit dieser Unsicherheit umzugehen war die größte Herausforderung.

STANDARD: Was konkret ist jetzt anders?

Schwarz: Der zentrale Punkt auch für uns in den Pflegeheimen ist die Frage: Was tun, wenn es einen Verdachtsfall gibt? Infektionserkrankungen sind in Pflegeheimen ja nicht Neues, sondern etwas, womit wir umgehen können. Es gibt eine Vielzahl. Wenn wir einen Keim kennen, wissen wir auch, was zu tun ist. Das Coronavirus war neu, mittlerweile kennen wir es.

STANDARD: Mit welcher Konsequenz?

Schwarz: Wir wissen besser, wie es übertragen wird. Wir wissen, dass die durchschnittliche Inkubationszeit zwischen Infektion und dem Auftauchen der ersten Symptome maximal zehn Tage beträgt. Das ist die Zeit, in der wir Menschen bei unklaren Tests isolieren. Wir haben auch die räumlichen Möglichkeiten für diese Isolation angepasst, die Bewohner sollen sich dort ja auch wohlfühlen.

STANDARD: Wer positiv getestet wird, kommt ins Krankenhaus?

Schwarz: Genau, ich denke, dass diese Möglichkeit in Österreich massiv dazu beigetragen hat, dass wir so gut durch die Pandemie gekommen sind. Covid-19-Kranke wurden nicht in den Pflegeheimen gepflegt. In anderen Ländern war das der Fall, weil die Spitalskapazitäten fehlten. Deshalb wurde die Situation in Spanien auch dramatisch. Das hat bei uns nicht stattgefunden.

STANDARD: Um die alten Menschen zu schützen ,waren sehr harte Maßnahmen notwendig. Es gab viele Berichte davon, dass die Bewohnerinnen in Pflegeheimen stark gelitten haben. Wie ist Ihre Erfahrung?

Schwarz: Es war tatsächlich eine schwierige Gratwanderung. Man musste den Schutz der Bewohner und Bewohnerinnen gegen ihr Recht auf selbstbestimmtes Leben abwägen. Die Reaktion der Leute war aber sehr unterschiedlich. Es gab welche, die es schrecklich fanden, oder es gab Angehörige, die das dachten – es waren die, die sich sehr schnell sehr laut auch medial zu Wort gemeldet haben.

STANDARD: Zu Unrecht?

Schwarz: Es war eine Krisenreaktion, die Menschen reagieren eben sehr unterschiedlich. Ich kann auch Geschichten von Bewohnerinnen erzählen, die die Ruhe, die mit diesem Lockdown gekommen ist, auch als überaus angenehm empfunden haben. Es gab auch die Leute, die plötzlich ihre Mitbewohnenden in den Pflegeheimen entdeckt haben, weil es plötzlich weniger Programm gab und die Besuche nicht kamen. Aber ja, es gab auch die, denen der Besuch der Angehörigen extrem fehlte.

STANDARD: Wie kommt man mit dieser Diversität an Reaktionen zurecht?

Schwarz: Unsere Erkenntnis ist, dass Kommunikation in alle Richtungen von entscheidender Bedeutung ist. Wir haben schnell verstanden, wie wichtig es für unsere Personal war, die Situation zu begreifen und Richtlinien für Entscheidungen des täglichen Lebens zu haben.

STANDARD: Wie sind Sie mit den Angehörigen umgegangen?

Schwarz: Wir haben alle zwei Wochen einen Brief mit den aktuellen Veränderungen zu den Schutzmaßnahmen versendet. Wir denken, dass das sehr wichtig war. Anfang Mai haben wir uns dann entschlossen, eine Umfrage unter den Angehörigen zu machen. 95 Prozent haben gesagt, dass sie sich gut informiert fühlen.

STANDARD: Gab es Beschwerden mit den Besuchszeiten?

Schwarz: Natürlich, aber die Besuchszeiten haben sich ja laufend verändert. Zunächst gab es den kompletten Lockdown, aber dann begann ja wieder die Öffnung. Wir haben Besucherboxen gebaut, Plexiglas aufgestellt. Fast alle unsere Häuser haben Gärten, das hat die Situation erleichtert. Dann kamen auch andere Berufsgruppen, Ärzte, Physiotherapeuten zum Beispiel, wieder in die Häuser. Es ist ein dynamisches Konzept, das wir auch weiterfahren.

STANDARD: Weil Sie in dieser Zeit alle Bewohnerinnen testen?

Schwarz: Genau. Wir können ein gesamtes Pflegeheim plus Personal testen. Auch diese Testkapazitäten mussten wir erst aufbauen. Jetzt haben wir sie zur Verfügung, und damit fällt auch viel Hysterie weg. Wir können Situationen kontrollieren.

STANDARD: Was ist mit den Demenzkranken? Für sie ist die Situation doch besonders schwer zu verstehen?

Schwarz: Nicht unbedingt. Es geht um die Vertrauensbasis zwischen Pflegekräften und den Bewohnern und Bewohnerinnen. Wenn die intakt ist, dann machen die Leute diese medizinischen Maßnahmen mit. Das Wichtigste ist das gute Klima im Haus.

STANDARD: Apropos: Es wird immer wieder der Mangel an Pflegekräften beklagt. Wie ist die Situation?

Schwarz: Wir haben offene Stellen, das stimmt. Doch nicht so viele, dass wir Pflegebetten nicht belegen könnten. Und wir tun sehr viel dafür, um Personal für uns zu gewinnen. Zum Beispiel haben wir im Mai eine Kampagne gestartet, um neue Mitarbeitende aus der Hotellerie und Gastronomie, die arbeitslos wurden, zu gewinnen. 200 haben sich gemeldet. Nach einer eingehenden Beratung haben sich 80 davon entschieden, eine Ausbildung bei uns zu beginnen. Pflege ist ein sehr schöner Beruf, das ist vielen nicht so bewusst. Wir bieten deshalb auch Umschulungsmöglichkeiten an.

STANDARD: Die Lernkurve war für alle groß. Auch für die Behörden. Werden Sie sich an der Ampel orientieren?

Schwarz: Ja, zu Beginn der Pandemie waren die Vorgaben unklar. Auch das ist jetzt anders. Die Ampel wird für uns eine wichtige Orientierung auf lokaler Ebene sein. Wir haben auch selbst eine Art Ampel entwickelt, es ist ein Vier-Phasen-Modell. Die Zahlen werden steigen und fallen. Doch wir können also jetzt sehr gezielt reagieren, auf örtliche Gegebenheiten Rücksicht nehmen und müssen nicht mehr so generell agieren wie bisher.

STANDARD: Noch wird diskutiert, wie sinnvoll die Maßnahmen waren. Die Mortalität ist dafür ein wichtiges Messparameter, doch dazu muss erst ein Jahr vergangen sein. Können Sie schon jetzt abschätzen, ob die Sterblichkeit unter Corona gestiegen ist?

Schwarz: In der ersten Jahreshälfte ist die Sterblichkeit in unseren Häusern sogar um 0,5 Prozent gesunken – im Vergleich zu den Durchschnittszahlen der letzten drei Jahre.

STANDARD: Wie das?

Schwarz: Wir glauben, dass die Hygienemaßnahmen dazu geführt haben, dass auch andere Keime, die für alte Menschen gefährlich sind, eingedämmt wurden.

STANDARD: Also zum Beispiel auch die Grippe?

Schwarz: Genau. Ich denke, dass es diese Saison die Grippeimpfung besonders wichtig ist. Wir werden sie unseren Bewohnern und Bewohnerinnen anbieten und sie auch den Mitarbeiterinnen ans Herz legen. Wir sehen, dass die Akzeptanz steigt. Leute, die in der Pflege arbeiten, sind prinzipiell sehr verantwortungsvoll. Das kommt uns zugute. (Karin Pollack, 8.9.2020)