"Dem Merkl Franz seine Erna" im Duett: Monika Klengel und Beatrix Brunschko (re.) ist schon lange nicht mehr zum Feiern zumute.

Johannes Gellner

Die Stadt Graz hat das Jahr 2020 zum "Kulturjahr" ernannt. Unter dem Motto "Wie wir leben wollen" finden im Rahmen der mit fünf Millionen Euro Fördergeld finanzierten Initiative insgesamt 94 künstlerische bzw. wissenschaftliche Projekte statt. Ein Gewerkschaftstreffen der intelligenten Maschinen gehört da ebenso dazu wie ein Grätzelspaziergang zum Thema Stadtökologie und Lebensqualität. Es geht um nichts weniger als die Zukunft des urbanen Zusammenlebens. Eine breit aufgestellte Auseinandersetzung soll die Stadt Graz für die Zukunft öffnen. Auch das Theater im Bahnhof (TiB) realisiert eine Stückentwickung zum Thema. Titel: Oktoberfest.

Uraufführung war am Samstag im Dom im Berg. Dort fällt das Damoklesschwert aus Scheinwerfer- und Lautsprecher-Traversen krachend gen Boden – und schnellt wieder nach oben. "Irgendjemand muss das doch steuern", versuchen die Schauspieler die Unsicherheit zu deuten. Und weil das Publikum im Viereck um das leere Spielfeld sitzt, werden auch dort beim Scheppern die Köpfe eingezogen. Was ist denn das für eine launische Gefahr?

Aufsteirern, Technik und Corona

Das Grazer Theater im Bahnhof verbindet für Oktoberfest. Kasimir und Karoline gehen zum Aufsteirern den zugrunde liegenden, nach der Weltwirtschaftskrise 1929 situierten Stücktext von Ödön von Horváth mit aktuellem Interviewmaterial über Arbeitslosigkeit. Hinzu kommen Assoziationen zu Technik und Corona. Und so zeigt sich das Damoklesschwert als unsere ungewisse Zukunft. Werden wir von Maschinen ersetzt? Alle arbeitslos? Zerbrechen die Beziehungen? Und dann auch noch Corona! Also Oktoberfeststimmung kommt in der Regie von Ed. Hauswirth keine auf. Dabei hätte sich das titelgebende Pärchen, Kasimir und Karoline, doch beim "Aufsteirern" vergnügen wollen.

Doch es findet von Episode zu Episode zu keiner Versöhnung. "Zuerst kommt das Liebhaben, dann kommt das Gernhaben." Gekleidet in Camouflage spielen Matthias Ohner und Pia Hierzegger sture Gefühlskälte. Dass diese Beziehung erst unter dem Druck einer erfolgten Kündigung endet, bleibt bloße Behauptung. Für Figurenentwicklung interessiert sich die Inszenierung nicht – aber für das Verschneiden verschiedener Gedankengänge.

Staubsauger-Roboter als Kellner

So diskutieren Martina Zinner und Juliette Eröd die abgründigen Arbeitsbedingungen in der Gastronomie und setzen später Staubsauger-Roboter zum Befördern von Biergläsern ein. Denen kann niemand mehr unter das Dirndl greifen. Und "Dem Merkl Franz seine Erna" kommt gleich zweimal vor: Beatrix Brunschko und Monika Klengel transponieren die geschlagene Frau ins Corona-Heute und sprechen (während Klavierkitsch läuft) über häusliche Gewalt oder schreien sich (Panik vor Arbeitslosigkeit) die Seele aus dem Leib.

An den Seitenwänden laufen Videobilder vom "Aufsteirern" 2019: Lederhosen, Menschenmassen – 2020 wegen Corona abgesagt. Auf dem Spielfeld tänzelt indes Omid Salek als Schürzinger rund um Karoline. Aber das Damoklesschwert fällt. "Abstand!", heißt es immer wieder. Die lose Bündelung von Zukunftsängsten will von Transhumanismus bis Babyelefant alles reflektieren und bleibt dabei inhaltlich beliebig – wird aber originell umgesetzt von einem charmanten Ensemble. (Theresa Luise Gindlstrasser, 8.9.2020)