Offizielle Zahlen dazu, wie sich die soziale Isolation während der Pandemie auf Heimbewohnerinnen und -bewohner auswirkte, gibt es nicht, dafür ein aufkeimendes Problembewusstsein.

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Wer sich allein fühlt ist, hat höheren Blutdruck. Und wer sich isoliert fühlt, stirbt mit 25-prozentiger Wahrscheinlichkeit eher an Krebs als jemand mit einem stabilen sozialen Netz. Die Auswirkungen von Einsamkeit und Isolation auf Gesundheit und Lebenserwartung seien sogar noch heftiger als jene von bekannteren Risikofaktoren wie Luftverschmutzung, Bewegungsmangel, mangelhafte Ernährung, Übergewicht oder Rauchen und starker Alkoholkonsum, schrieb schon vor Jahren das Rote Kreuz in einer Publikation zum Thema.

Trotzdem fand im Bundeskanzleramt erst gestern der erste runde Tisch zum Thema Alterseinsamkeit statt. Die Pandemie machte das, was vorher ein Nischenthema war, real: Da konnten plötzlich jene, die ihre Eltern oder Großeltern besuchen wollen, sie nicht treffen, da wurden betagte Menschen weggesperrt und ohne gesetzliche Grundlage isoliert. Oft mit guten Absichten, aber dramatischen Folgen.

Mit am Tisch saßen am Montag neben Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Zivildienstministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) auch Vertreter von einem Dutzend Organisationen, darunter die Diakonie, das Hilfswerk und die Caritas. Auch private Pflegeanbieter, etwa Senecura, waren dabei.

Man wolle nun "kurzfristige Maßnahmen" für die Zeit der Pandemie erarbeiten, hieß es nach dem runden Tisch vonseiten der Regierung. Langfristig solle ein "Pakt gegen die Einsamkeit" geschlossen werden. Wie genau dieser ausgestaltet sein soll, bleibt vorerst offen. Nächste Woche versammelt man sich erneut am runden Tisch.

Wer nicht dabei war

Am Montag nicht dabei waren die lautesten Kritiker der Situation in den Heimen während des Lockdowns: das Vertretungsnetz und die Heimkommission in Wien. Beide kontrollieren, ob die Freiheit von Heimbewohnerinnen und -bewohnern über das gesetzlich erlaubte Maß hinaus eingeschränkt wurde, beide stießen auf zahlreiche Fälle.

Vom Wiener Vertretungsnetz heißt es gegenüber dem STANDARD etwa, man habe im Lockdown wochenlang gesehen, wie Menschen in Heimen "teilweise auch verzweifelten, weil ihre Angehörigen nicht mehr zu Besuch kamen". Zu einem derartigen "vorsorglichen Wegsperren" dürfe es im Falle einer zweiten Welle nicht mehr kommen.

In der Heimkommission der Patientenanwaltschaft – auch die war nicht im Bundeskanzleramt – sagt Gabriele Allmer, wichtig sei auch, dass nicht alle Heimbewohnerinnen und -bewohner über einen Kamm geschert würden. Gerade bei dementen Personen habe man etwa beobachten könne, dass diese "nach zwei, drei Wochen die Angehörigen komplett vergessen können".

Vor allem zu Beginn des Lockdowns habe es viele Beschwerden von Bewohnerinnen und Bewohnern und deren Angehörigen gegeben. Sobald es kühler werde und damit ein Besuch im Freien unmöglich werde, rechne man wieder mit einem Anstieg an Beschwerden. Denn für Innenräume könnten Zugangsbeschränkungen gelten.

Ihres Wissens nach, sagt Allmer, seien die Ansteckungen in Wiener Heimen übrigens nicht von Angehörigen, sondern meist von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingeschleppt worden.

Was die Teilnehmer fordern

Jene, die am Tisch Platz nehmen durften, sprachen ihre Forderungen aus. So etwa Caritas-Präsident Michael Landau, der für eine oder einen Bundesbeauftragten gegen Einsamkeit plädiert. Othmar Karas, Präsident des Hilfswerks betonte, dass auch pflegende Angehörige in der Debatte berücksichtigt werden müssen. Laut Daten des Hilfswerks werden rund 80 Prozent aller Pflegebedürftigen zu Hause von Angehörigen und/oder mobilen Pflegediensten umsorgt.

Maria Moser, Direktorin der Diakonie, spricht nach dem Tisch von einem "Startschuss". Wichtig sei, dass Einsamkeit als recht "weiches Thema" nun auf der politischen Agenda angekommen sei. Sie fordert etwa einen Ausbau von Tageszentren, aber auch, dass das Thema in die Pflegereform miteinbezogen wird.

Und: dass in der neuerlichen Debatte rund um Einsamkeit nicht auf junge Menschen vergessen wird. Denn neue Erhebungen aus der Diakonie zeigen, dass sich Arbeitslose sowie Schülerinnen und Schüler während der Krise noch häufiger einsam fühlten als Pensionistinnen und Pensionisten. (elas, 7.9.2020)