Der Mars und seine zwei Monde Phobos (links) und Deimos (rechts).
Foto: NASA/JPL/University of Arizona

Schiebt sich der Erdmond vor die Sonne, so spricht man von einer Sonnenfinsternis. Da Mond und Sonne am Himmel stets etwa gleich groß erscheinen, kann unser Trabant die Sonnenscheibe ab und zu vollständig verdecken. Dann wirft der Mond einen vorüberziehenden maximal 273 Kilometer breiten Kernschatten, in dem es tatsächlich mehrere Minuten lang düster und kühl wird. 68 totale Sonnenfinsternisse, also solche, bei denen die Sonne vollständig hinter dem Mond verschwindet, zählt das 21. Jahrhundert.

Auch auf dem Mars gibt es Sonnenfinsternisse, deutlich häufiger sogar als auf der Erde. Allerdings vermag der kleine Marsmond Phobos nur einen Bruchteil der Sonnenscheibe zu verdecken, von einer echten Verfinsterung kann dabei also keine Rede sein. Phobos umkreist den Mars einmal alle sieben Stunden. Seine Bahn verläuft so, dass er an jedem Ort auf dem Mars etwa einmal pro Erdenjahr direkt vor der Sonne vorbeizieht. Dort kommt es jeweils innerhalb von drei Tagen zu einer bis sieben Sonnenfinsternissen, die höchsten 30 Sekunden andauern. Die Nasa- Rover Opportunity und Curiosity haben solche Sonnenfinsternisse fotografisch festgehalten.

Oben: Drei Aufnahmen, die Curiosity im Abstand von drei Sekunden geschossen hat, zeigen Phobos, der am 20. August 2013 vor der Sonne vorüber zieht. Unten: Diese Sofi-Serie stammt von Opportunity und wurde am 11. April 2004 aufgenommen.
Fotos: NASA/JPL

Erdbebenbeobachter nimmt den Schatten wahr

Doch diese Transite lassen sich nicht nur auf Bildern beobachten. "Auf der Erde misst man bei einer Sonnenfinsternis einen Temperaturabfall und rasche Windböen, weil die Atmosphäre jeweils an einer Stelle kälter wird und sich die Luft von dort weg bewegt", sagt Simon Stähler von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Der Seismologe wollte gemeinsam mit Kollegen herausfinden, ob ähnliche Effekte auch auf dem Mars nachweisbar sind. Die dafür nötigen Daten lieferte das Seismometer der Nasa- Sonde Insight, dessen Elektronik an der ETH Zürich gebaut wurde. Der Lander, der seit November 2018 in der Region Elysium Planitia Erdbeben vermisst und geologische Untersuchungen durchführt, reagiert erstaunlicherweise auch auf Sonnenfinsternisse.

Im April 2019 war vom Landeplatz der Nasa-Sonde eine erste Serie von Sonnenfinsternissen zu sehen, doch nur ein Teil der damaligen Messungen wurde gespeichert. Sie lieferten allenfalls erste Hinweise, so dass sich Stähler gemeinsam mit internationalen Kollegen auf die nächste Finsternis- Serie am 24. April 2020 vorbereiteten. Die überraschenden Resultate dieser Beobachtungen veröffentlichte das Team nun in den "Geophysical Research Letters".

Wie erwartet registrierten die Solarzellen von InSight die Transits. "Steht Phobos vor der Sonne, gelangt weniger Sonnenlicht auf die Solarzellen und diese produzieren dadurch weniger Strom", erklärt Stähler. "So lässt sich der Abfall bei der Lichteinstrahlung durch die Bedeckung messen." Tatsächlich sank die Sonneneinstrahlung während einer Finsternis um 30 Prozent. Atmosphärische Veränderungen konnte die Wetterstation von InSight dagegen nicht wahrnehmen. Die Winde drehten nicht wie erwartet. Dafür sorgten andere Instrumente für Verblüffung: Sowohl das Seismometer wie auch das Magnetometer massen einen Effekt.

Verdunkelt der Mond Phobos die Sonne, kippt das Seismometer der Marssonde InSight in minimalem Ausmaß zur Seite und registriert so den Transit des Mondes vor der Sonne.
Foto: NASA/JPL

Überraschend gekippt

Das Signal des Magnetometers lässt sich höchstwahrscheinlich auf den Stromabfall in den Solarzellen zurückführen. Das Seismometer- Signal hatten die Forscher jedoch nicht erwartet. Normalerweise zeichnet das Instrument Beben auf dem Planeten auf. Bisher hat der Marsbebendienst, der von John Clinton und Domenico Giardini an der ETH geleitet wird, rund 40 klassische Beben registriert, wobei die stärksten eine Magnitude von 3,8 aufwiesen, dazu mehrere Hundert regionale, flache Beben. Das nun gemessene Signal ist offenbar auf ein minimales Kippen des Seismometers zurückzuführen. "Die Neigung ist wirklich äußerst gering", erklärt Stähler: "Stellen Sie sich eine Münze vor und schieben Sie auf der einen Seite zwei Silberatome darunter. Das ergäbe diese Neigung von 10-8."

So klein dieser Effekt war, so eindeutig messbar zeigte er sich. "Die banalste Erklärung wäre, dass die Anziehungskraft von Phobos dafür verantwortlich ist, so wie der Erdmond die Gezeiten verursacht", sagt Stähler, "doch dies kann man schnell ausschließen." Denn dann müsste das Seismometer- Signal alle fünf Stunden, wenn Phobos vorbeizieht, für eine längere Dauer messbar sein, was nicht der Fall ist. Die wahrscheinlichste Ursache für das Kippen: "Während der Finsternis kühlt sich der Boden ab. Er verformt sich ungleichmässig und löst so die Neigung aus", so Martin van Driel von der Gruppe für Seismologie und Wellenphysik.

Minimale Abkühlung

Tatsächlich registrierte ein Infrarotsensor auf dem Mars eine Abkühlung des Bodens von zwei Grad Celsius. Berechnungen zeigten, dass die Kältewelle während 30 Sekunden zwar nur Mikro- bis Millimeter tief in den Boden eindringt, doch dieser Effekt hat die richtige Größenordnung, um das Kippen zu verursachen.

Phobos, der größere der beiden Marsmonde (der kleinere heißt Deimos), hat einen durchschnittlichen Durchmesser von etwa 23 Kilometern und kreist nur 6000 Kilometer von der Marsoberfläche entfernt um den Planeten.
Foto: NASA/JPL

Eine Beobachtung auf der Erde stützt Stählers Theorie. Am Black Forest Observatory in einer alten Silbermine im Schwarzwald entdeckte Rudolf Widmer-Schnidrig ein ähnliches Phänomen: Beim InSight-Instrumententest eines Seismometers wurde versehentlich das Licht nicht ausgeschaltet. Es zeigte sich, dass die Wärmestrahlung einer 60- Watt- Glühbirne ausreichte, um den Granit tief in der Erde an seiner obersten Schicht zu erwärmen, so dass sich dieser ein wenig ausdehnte und das Seismometer eine kleine Verschiebung zur Seite anzeigte.

Phänomen mit Erkenntnisgewinn

Das winzige Kipp- Signal vom Mars könnte dazu verwendet werden, die Bahn von Phobos genauer als bisher möglich zu bestimmen. Denn die Position von InSight ist der am präzisesten vermessene Ort auf dem Mars. Weiß man, wann hier ein Phobos- Transit genau beginnt und endet, lässt sich die Umlaufbahn des Mondes exakt berechnen. Dies ist für künftige Raumfahrtmissionen wichtig. So will die japanische Raumfahrtorganisation Jaxa im Jahr 2024 eine Sonde zu den Marsmonden schicken und Proben von Phobos zur Erde zurückholen. "Dafür muss man wissen, wo man genau hinfliegen will", sagt Stähler.

Präzise Bahndaten von Phobos könnten aber auch mehr Aufschluss über das Innere von Mars geben. Während unser Mond an Drehimpuls gewinnt und sich kontinuierlich von der Erde entfernt, wird Phobos langsamer und nähert sich dem Mars, bis er in 30 bis 50 Millionen Jahren auf den Planeten stürzen wird. Diese leichte Verlangsamung können die Wissenschafter nutzen, um abzuschätzen, wie elastisch und damit wie heiß der Mars in seinem Innern ist. Letztlich möchten die Forscher wissen, ob der Mars aus dem gleichen Material geformt wurde wie die Erde oder ob unterschiedliche Bausteine eine Erklärung dafür liefern können, dass es auf der Erde eine Plattentektonik, eine dichte Atmosphäre und lebensfreundliche Bedingungen gibt – Dinge, die auf dem Mars fehlen. (red, 7.9.2020)