Der Anteil der Sonnenwärme, die nicht wieder zurück ins All reflektiert wird, steigt zusehends.
Foto: NASA/NICK HAGUE

Die Treibhaus-ähnlichen Bedingungen auf der Erde verschlimmern sich trotz aller Beteuerungen zum gemeinsamen 1,5-Grad-Celsius-Ziel zusehends. Die Zunahme von Kohlendioxid, Methan und Lachgas in der Atmosphäre bewirkt auf unserem Planeten ein wachsendes Energie-Ungleichgewicht zwischen der eintreffenden Sonnenstrahlung und der Rückstrahlung von der Erde.

Überraschende Ergebnisse

Nun hat eine internationale Studie erstmals vorgerechnet, wie stark sich seit den 1970er-Jahren die überschüssige Wärmeenergie jeweils in den Meeren, den Landmassen und der Lufthülle ansammelt. Für die atmosphärische Erwärmung war ein Team um Gottfried Kirchengast von der Universität Graz zuständig – ihre Ergebnisse lieferten eine Überraschung.

"Wir fanden heraus, dass unsere Erde mittlerweile im Schnitt in jeder Sekunde pro Quadratmeter rund 0,9 Joule Energie zusätzlich schlucken muss", fasst Kirchengast die Gesamtbilanz zusammen. "Da die Erdoberfläche 510 Millionen Quadratkilometer groß ist, sind das jedes Jahr rund 14 Billionen Gigajoule Überschuss, mehr als das Zwanzigfache des Weltenergieverbrauchs." Das treibt die globale Erwärmung und den Klimawandel mit allen Folgen rasant an. "In der Atmosphäre war die Wärmezunahme von 2001 bis 2018 dreimal so stark wie der im letzten Weltklimabericht publizierte Anstieg im Zeitraum 1971 bis 2010", so Kirchengast.

Die Grafik zeigt, wo auf der Erde die überschüssige Wärme hingeht.
Grafik: ESSD/Schuckmann et al.

90 Prozent der Wärme gehen ins Meer

Die im "Journal Earth System Science Data" veröffentlichte Studie von Forschungsteams aus zehn Ländern untermauert auf Basis der besten verfügbaren Datenquellen über das Erdsystem und in bisher unerreichter Gesamtsicht mit aktuellen Zahlen, wo die überschüssige Energie hingeht und wirksam wird: Rund 90 Prozent speichern derzeit die Weltmeere, fünf Prozent das Land, drei Prozent verbraucht das Abschmelzen des Eises und rund zwei Prozent gehen in die Atmosphäre.

"Während also die leichte, gasförmige Lufthülle, vor allem dank der Pufferspeicherung in den Wassermassen der Meere, absolut gesehen nur die kleinste Menge aufnehmen muss, sind ihre relativen Änderungen am stärksten und die Auswirkungen auf uns Menschen am direktesten, etwa über Wetter- und Klimaextreme", resümiert Kirchengast und unterstreicht eine zentrale Schlussfolgerung der Studie: "Der einzige Weg zum Abbau dieses bedrohlichen Energie-Ungleichgewichts ist eine drastische Emissionsreduktion im Sinn der Pariser Klimaziele."

Hochwertige Daten

Kirchengasts Forschungsgruppe zählt zu den international führenden Gruppen auf dem Gebiet der Klimabeobachtung in der Atmosphäre. Die Wissenschafter stützten sich bei ihren Berechnungen unter anderem auf Daten aus satellitengestützter Radio-Okkultation, Qualitäts-Wetterballonsonden und neuesten Langzeit-Atmosphärenanalysen des Europäischen Wetterzentrums ECMWF in Reading/UK. Die Ergebnisse werden maßgeblich in den Weltklimabericht 2021 mit einfließen. (red, 8.9.2020)