80 Prozent der Wege sollen in Wien in Zukunft ohne Auto zurückgelegt werden, so steht es im aktuellen Wahlprogramm der SPÖ Wien. Eine Zielsetzung, die angesichts der sich verschärfenden Klimakrise absolut notwendig ist und zudem einen enormen Zugewinn an Lebensqualität für viele Wienerinnen und Wiener bedeuten würde.

Als entsprechende Maßnahmen stehen im Programm der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, insbesondere der Stadt-Umland-Verbindungen, lokale Verteilerzentren für den Güterverkehr, die Förderung von Sharing-Angeboten und ein Ausbau der Radinfrastruktur. Das sind durchaus wichtige verkehrspolitische Forderungen. Auffällig ist jedoch, dass es sich dabei lediglich um Maßnahmen handelt, die Anreize setzen. Maßnahmen, die den motorisierten Individualverkehr einschränken, fehlen gänzlich.

In der Verkehrsplanung spricht man in diesem Zusammenhang von einer nötigen Kombination von Push- und Pull-Maßnahmen. Angebotsverbesserungen ohne parallel dazu stattfindende Beschränkungen des Kfz-Verkehrs führen kaum zu tatsächlicher Verkehrsverlagerung und damit zu positiven ökologischen und sozialen Effekten. Ein typisches Beispiel dafür ist die Parkraum-Bewirtschaftung. Begrenzte und kostenpflichtige Parkplätze führen nachweislich zu einer Reduktion des Autoverkehrs in der Stadt. Gleichzeitig kann die Maßnahme ihre Wirkung nur dann entfalten, wenn es entsprechende Alternativen gibt, etwa Park-and-Ride-Parkplätze am Stadtrand und ein gutes, städtisches Netz öffentlichen Verkehrs.

Mehr Räder statt Autos in der Stadt!
Foto: AFP /JOHN MACDOUGALL

Maßnahmen-Mix

Um die ökologischen Belastungen durch den Verkehrssektor reduzieren zu können, ist ein Mix an Maßnahmen mit unterschiedlichen Wirkungsmechanismen nötig. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie deutscher und kanadischer Wissenschafter. Einem zentralen Stellenwert in integrierten Maßnahmensets müsse demnach verbindlichen Gesetzen und Standards zukommen, flankiert von Preismechanismen und Infrastrukturausbau. Regulatorische Maßnahmen machen sich dadurch unverzichtbar, so die Studienautoren, dass sie eine klare Richtungen von Entwicklungen vorgeben können. Auch der ehemalige Präsident des deutschen Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, Peter Hennicke nimmt diese Position ein: Er plädiert für Ordnungsrecht, Standards sowie Gebote und Verbote – nicht, um die Menschen zu bestrafen, sondern um Sicherheit zu geben, in welche Richtung es gesellschaftlich geht.

Verbote erfahren durchaus Zustimmung

Auch ist es lediglich ein Vorurteil, dass die Bevölkerung Verbote automatisch ablehnt und diese die Wählerschaft vergraulen würden. Im Juni endete in Frankreich ein Pilotprojekt, bei dem in einem Bürgerrat aus 150 zufällig ausgelosten Menschen Klimaschutz-Maßnahmen diskutiert und beschlossen wurden. Der Rat einigte sich unter anderem auf ein Tempolimit von 110 km/h auf Autobahnen, ein Verbot von Kurzstreckenflügen ab 2025, sowie ein Werbeverbot für klimaschädliche Produkte wie Autos. Welche dieser Maßnahmen von der französischen Politik am Ende auch wirklich umgesetzt werden, ist offen.

Dennoch herrscht eine auffällige Zurückhaltung, was die politische Bereitschaft zu Geboten und Verboten im Sinne des Klimaschutzes angeht. Nicht zuletzt kämpfen die Grünen bis heute mit ihrem Ruf als „Verbotspartei“. Das erscheint merkwürdig, angesichts der Tatsache, dass unser gesamter demokratischer Rechtsstaat auf verbindlichen Gesetzen beruht – viele davon sind schlicht Verbote. Verbote und Gebote legen seit jeher den Rahmen fest, in dem sich alltägliche Freiheit entfalten kann. So befinden wir es selbstverständlich als gut, dass es Standards und Grenzwerte gibt, die die Verschmutzung unserer Umwelt durch die Industrie beschränken. Selbstverständlich freuen wir uns heute darüber, dass sich Österreich in den 1970ern verbindlich gegen Atomkraft entschieden hat und nicht nur für die finanzielle Subventionierung von alternativen Energiequellen. Wenn politische Zielsetzungen klar und demokratisch gewollt sind, dann spricht nichts gegen die Etablierung entsprechender Gesetze, um diese zu erreichen. Verbote und Gebote sind also nicht automatisch eine Einschränkung politischer Freiheit, sondern oft die Grundlage dafür. Denn nicht zuletzt unsere Grundrechte werden durch Verbote und Gebote abgesichert.

Verbindliche Gesetze statt Moralpredigten

Trotzdem wird die Nachhaltigkeitsdebatte nach wie vor dominiert von Forderungen nach freiwilligen Selbstverpflichtungen von Unternehmen, Appellen zu individuellen Verhaltensänderungen und im besten Fall nach „Kostenwahrheit“, wie sie etwa durch eine längst überfällige CO2-Bepreisung vorangetrieben werden könnte. Ökonomisch wird die Bevorzugung preislicher Mechanismen gegenüber ordnungspolitischen Instrumenten dadurch gerechtfertigt, dass diese Technologie-neutral und ökonomisch effizienter seien, während (zumindest die zahlungskräftigen) Konsumentinnen und Konsumenten nach wie vor Wahlfreiheit hätten. Diese Wahlfreiheit beinhaltet demnach aber auch, sich gegen klimaschonendes Verhalten zu entscheiden. So drängt sich die Frage auf: Gibt es ein Recht auf einen Lebensstil auf Kosten anderer?

Die Provokation an dieser Frage liegt darin, dass es unter vorherrschenden Rahmenbedingungen gar nicht einfach ist, sich gegen einen Lebensstil auf Kosten anderer zu entscheiden. In einem Cartoon des Karikaturisten Much Unterleitner steht ein verwirrter Mann im Supermarkt. Vor ihm hängen Bananen, die einen sind mit „Fair Trade“, die anderen mit „unfair Trade“ gekennzeichnet. Diese Darstellung ist entlarvend: In unserem derzeitigen System muss man sich täglich bewusst gegen Produkte entscheiden, die unter Ausbeutung von Mensch und Natur hergestellt wurden, Nicht-Nachhaltigkeit bleibt dabei die Norm. Die ökologisch und damit langfristig sozial bessere Alternative ist oft teurer, unbequemer, unbekannter und oftmals schlicht nicht vorhanden. Obwohl natürlich niemand gerne auf Kosten anderer leben möchte, bedeutet das, dass ein Ausstieg aus dieser Lebensweise für Einzelpersonen beinahe unmöglich bleibt. Sich unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen für die nachhaltige Option zu entscheiden, können sich nur die wenigsten monetär, zeitlich und kulturell leisten. Unter diesen Rahmenbedingungen wirkt zudem der Free-Rider-Effekt: Warum sollte ich mich als Einzelperson mein Verhalten ändern, wenn es die anderen auch nicht machen müssen?

Ein verbindlicher Gesetzesrahmen, der sich traut eine Richtung für gesellschaftlichen Wandel vorzugeben, kann dazu beitragen dieses Dilemma aufzulösen. Verbote und Gebote können nachhaltiges Leben alltagstauglich machen, indem sie den individuellen Entscheidungsspielraum für alle in eine Richtung verschieben. Die Verantwortung nachhaltig zu leben, würde so nicht mehr an das einzelne Individuum abgeschoben werden, sondern wird zur gesellschaftlichen Norm. Die Klimadebatte wird dann endlich nicht mehr als Moralpredigt gegen individuelles Fehlverhalten geführt, sondern als eine politische Aushandlung über verbindliche gemeinsame Regelungen. Verbote und Gebote sind in einem demokratischen Rechtsstaat legitime und gängige Mittel, um den nötigen gesellschaftlichen Wandel einen sozial verträglichen Rahmen zu geben. Daher der Appell an alle entscheidungsbefugten Organe dieses Landes: Ich will nicht mehr nur individuelle Anreize gesetzt bekommen, meine eigene Lebensgrundlage zu erhalten. Statt Bevormundung will ich die Freiheit zugesprochen bekommen, zwischen verantwortungsvollen Optionen entscheiden zu können. (Ruth Fartacek, 14.9.2020)

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