Am Wochenende waren Teddybären und Kerzen vor dem Haus in Solingen, wo die Polizei fünf tote Kindern gefunden hatte, niedergelegt worden.

Foto: APA/dpa/Roberto Pfeil

Die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung und des Privatsenders RTL zu den fünf tot aufgefundenen Kinder im nordrhein-westfälischen Solingen sorgt nach wie vor für heftige Kritik. RTL und das deutsche Boulevardblatt hatten am Freitag aus dem privaten Chatverlauf des überlebenden elfjährigen Bruders der fünf getöteten Kinder sowie eines Freundes zitiert. Der Fernsehsender hatte Letzteren auch interviewt.

Der Titel des "Bild"-Artikels lautete: "Mutter (27) hat fünf ihrer Kinder getötet: Freund Max telefonierte mit dem Sohn, der überlebte". Nach einem Shitstorm wurde der Artikel auf Bild.de, der hinter der Bezahlschranke zu finden war, am Wochenende wieder gelöscht.

RTL räumte Fehler ein

Vor "Bild" hatte bereits der Privatsender RTL aus dem Whatsapp-Chatverlauf zitiert und sogar den Freund des überlebenden Kindes interviewt. Der Beitrag wurde mit voller Namensnennung gesendet, der Bub war in einer Frontalaufnahme zu sehen. Auf Anfrage des Medienmagazins DWDL.de räumte RTL am Montag Fehler ein: "Wir überprüfen uns und unsere Arbeitsweise jeden Tag aufs Neue und gestehen auch ein, wenn wir einen Fehler gemacht haben. Wir bedauern, dass in diesem Fall unter anderem der volle Namen des Jungen genannt wurde, und entschuldigen uns dafür."

Beschwerdeflut beim Presserat

Die "Bild"-Berichterstattung wird jedenfalls zum Fall für den deutschen Presserat. Auf STANDARD-Anfrage erklärte das Selbstkontrollorgan, dass bis Dienstagmittag rund 160 Beschwerden eingegangen seien. Im Raum steht zum Beispiel ein Verstoß gegen die Richtlinie 4.2 des Ehrenkodex, wonach besondere Zurückhaltung bei der Recherche gegenüber schutzbedürftigen Personen geboten sei oder ein Verstoß gegen den Persönlichkeitsschutz.

Laut faz.net hat die "Bild"-Zeitung in einer Pressemitteilung den Fehler eingestanden und mitgeteilt: "Bild" habe "diese mit dem ausdrücklichen Einverständnis und Entscheidung der Mutter, wie auch in dem Beitrag explizit dokumentiert, ebenfalls übernommen, was wir bedauern."

"Bild"-Chefredakteur Reichelt verteidigt Artikel

Nicht nach Bedauern klingt allerdings, was "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt am Montag in der Sendung "@mediasres – das Medienmagazin" im Deutschlandfunk sagte. Reichelt verteidigte die "Bild"-Berichterstattung mit den Worten, dass auch die Ermittlungsbehörden in einer Pressekonferenz aus dem Chatverlauf zitiert hätten und es ein "überragendes Interesse" der Öffentlichkeit an dem Fall gebe.

"Auch die Ermittlungsbehörden waren der Meinung, dass es der Erhellung dieses Falls und im öffentlichen Interesse angemessen ist, daraus zu zitieren. Und hinzu kommt, dass das, was wir dort zitiert haben, ohnehin schon einmal zitiert worden war", sagte Reichelt mit Verweis auf den RTL-Bericht. Es habe sich um eine Geschichte gehandelt, die "schon auf dem Markt war", so Reichelt.

Opferschutzorganisation empört

Massive Kritik an der Berichterstattung von "Bild" und RTL kommt auch von der Opferschutzorganisation Weißer Ring in Deutschland. "Das ist der schlimmste Brandbeschleuniger in einer solchen Situation", sagte die Bundesgeschäftsführerin Bianca Biwer am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Mainz. Manchen Medienvertretern fehle leider jedes Bewusstsein dafür, was es bedeute, Opfer einer Straftat mit lebenslangen Folgen geworden zu sein. Verstöße gegen Persönlichkeitsrechte müssten auch finanziell spürbarere Konsequenzen haben. "Man wird keine Person des öffentlichen Lebens, weil man Opfer eines Verbrechens wurde", sagte Biwer. (omark, 8.9.2020)