EZB-Chefin Christine Lagarde startet in einen heißen Herbst. Weicht die EZB ihr Inflationsziel auf, droht dem Euroraum die Deflation.

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Am Donnerstag kommen die Ratsmitglieder der Europäischen Zentralbank (EZB) zur ersten Sitzung nach der Sommerpause zusammen. Auf sie wartet eine lange Agenda:

  • Euro Der starke Euro verteuert Exporte, das lähmt die wirtschaftliche Erholung. Die Wirtschaft der Eurozone ist im Frühjahr in der Viruskrise zwar nicht ganz so heftig unter die Räder gekommen wie zunächst gedacht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) brach von April bis Juni um 11,8 Prozent zum Vorquartal ein, teilte das Statistikamt Eurostat am Dienstag mit. In einer Schnellschätzung war zuvor von einem Minus von 12,1 Prozent die Rede.
    Doch selbst wenn der Rückgang jetzt etwas geringer ausfiel, war es laut Eurostat der stärkste Rückschlag seit Beginn entsprechender Statistiken im Jahr 1995. Im ersten Quartal war das BIP im Euroraum um 3,7 Prozent gesunken.
    Spannend wird also, wie die EZB-Experten die wirtschaftliche Lage weiter einschätzen. Denn die Unsicherheit über den weiteren Verlauf der wirtschaftlichen Erholung bleibt hoch, auch weil die Corona-Infektionen wieder stark zunehmen.
  • Inflation Nächster wunder Punkt ist die Inflation. Die Verbraucherpreise im Währungsraum sind im August um 0,2 Prozent gesunken, was seit Mai 2016 das erste Mal war. Damit entfernt sich die Inflation wieder deutlich von der Zielmarke von knapp zwei Prozent, die die EZB als Idealwert für die Wirtschaft anstrebt – und seit Jahren verfehlt. "Was die Inflation angeht, so gibt es Gründe, besorgt zu sein", sagt Anatoli Annenkow, Volkswirt bei der französischen Bank Société Générale. Er erwartet, dass die Notenbank bei den neuen hauseigenen Projektionen ihre Inflationserwartungen etwas zurückschrauben wird.
    Das birgt aber ein Risiko. Niedrigere Zielwerte bergen die Gefahr, dass die Eurozone – zumindest zeitweise – in eine Deflation abrutscht. Konsumenten hätten dann wenig Anreiz, ihr Geld auszugeben, weil sie sich morgen für dieselbe Summe vielleicht schon mehr leisten könnten als heute. Die Preise würden sinken, um einen Kaufanreiz zu schaffen – Unternehmen würden also selbst bei gleichbleibendem Konsum weniger verdienen. Während bei Inflation neben den Preisen auch die Löhne steigen, müssten bei einer Deflation die Löhne eigentlich sinken – sozialpolitisch wäre das wohl kaum umsetzbar.
  • PEPP Der starke Euro und die negative Inflation könnten die Debatte darüber anfeuern, ob die EZB die vollen 1,35 Billionen Euro zum Aufkauf von Anleihen als Pandemie-Notfallsprogramm voll ausschöpfen oder das Volumen gar um bis zu 500 Milliarden Euro erhöhen wird. Darüber gab es im Juli Uneinigkeit, wie die Sitzungsprotokolle zeigen.
    Andrew Kenningham, Volkswirt bei Capital Economics, geht davon aus, dass die EZB das Programm im März 2021 um 500 Milliarden Euro erhöhen wird. Die Experten der Bank of America erwarten eine Erhöhung um dieses Volumen bereits in der Dezember-Sitzung. (bpf, 8.9.2020)