Thomas Köck macht der zeitgenössischen Dramatik Beine – mit gesellschaftspolitisch relevanten Stücken nach antikem Zuschnitt und mit lakonischem Ernst.

Georg Soulek

Der Spätkapitalismus dreht seine letzten Runden. Für die eine oder andere Wachstumskurve wird noch einmal Anlauf genommen, der Ausbeutung von Mensch und Rohstoff Vorschub geleistet. Das Öl geht zur Neige, der Permafrost taut, Migrationsströme nehmen zu. Und die globale Gesellschaft ist tief gespalten wie kaum je zuvor: Es könnten keine größeren Themen sein, die Thomas Köck in seinen Theaterstücken anpackt. Der 34-jährige in Wolfern bei Steyr geborene und heute in Berlin lebende Dramatiker hat zwar kein Apokalypse-Faible. Aber er gibt den Blick frei aufs Ende. Er nennt es eine "Enthüllung".

Ineinander der Zeiten

Das Wissen um Endlichkeit ist allen Texten Köcks eingeschrieben. Beim Lesen sieht man förmlich das Eis des Dachsteins schmelzen. Man könnte sagen, Köck markiert den Übergang vom postdramatischen zum posthistorischen Autor, der mit offenen Augen am Ende der Geschichte steht und mit melancholischer Komik die Erkenntnisbrocken aufklaubt. Dort folgt er, wie er sagt, "den Spuren der Verwundung". Und tatsächlich fördert diese Spurensuche immenses Wissen zutage, das einerseits aufklärerisch wirkt, vor allem aber aus den geknüpften Zusammenhängen heraus entsteht.

Thomas Köck denkt die Zeiten nämlich gern in einem. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft überlappen sich und machen so das Ausmaß der menschlichen Verantwortungslosigkeit deutlich. Migration, Rohstoffausbeutung, Wachstumswirtschaft, Erderwärmung, Nationalismus etc. – es gibt sie nicht isoliert. In einer Laudatio hieß es einmal: "Wofür man früher ungefähr vier Stücke brauchte, braucht man jetzt nur noch einen Köck."

In diesem Ineinander der Zeiten und dem Bewusstsein für globale Prozesse erkennt man einen absolut zeitgenössischen Autor, der keine Scheu vor Abstraktionsvorgängen und gelegentlichem Chaos hat. Ganz anders, als es noch die subjektbezogenen Kammerspiele der Jahrtausendwende waren, ist Köck Exponent einer Theatergeneration, die global denkt und ihre gesellschaftspolitische Stimme wichtig nimmt, aus Überzeugung.

Nicht ohne Chor

Dass er seine Stücke frei nach dem antiken Drama zuschneidet, ist da nur logisch. Das geht nie ohne Chor ab und auch nicht ohne Theorie, von Donna Haraway bis Walter Benjamin, und auch sprachlich ist die antike Welt der Götter und Weissagenden popkulturell geschult. Sie verstehen Englisch und schimpfen den "Diskursschmarrn", "Konsensplüsch" und die "Mehrwertshow".

Die Inbetriebnahme antiker Dramenstrukturen gelingt derzeit niemandem so konsequent und leicht-händig wie Köck, der vermutlich auch deshalb zu den mittlerweile meistgespielten jungen Theaterautoren im deutschen Sprachraum zählt. Nach Hamburg und Graz eröffnet nun am Samstag das Akademietheater in Wien seine Spielzeit mit antigone. ein requiem, einem Stück, das danach fragt, wem Trauer heute zusteht. Auch Ersan Mondtag wird sich in dieser Spielzeit an einem Köck versuchen.

Kein Drama also ohne Chor. Ein versprengter Chor oder ein kaputter Chor oder ein Chor schwer erziehbarer Erbinnen und Erben. Auch gut: "1 chor im ewigen ICE der spätmoderne". Und wenn doch einmal kein Chor, dann tritt zumindest ein "erschöpftes Symphonieorchester" in Erscheinung. Denn das entindividualisierte Sprechen und seine politische Funktion als ein gesamtgesellschaftliches Sprechen bzw. "ein Sprechen, das niemandem gehört", so Köck, ist für ihn elementar. In einer Gruppe mit entsprechender Lautstärke lässt sich mit Mächtigen einfach besser verhandeln.

Anti-Simon-Stone

Köck beschreitet gewissermaßen den umgekehrten Weg zum Mythenverdampfer Simon Stone, der aus antiken Stoffen erstklassige Küchendramen macht. Köck ist ein Anti-Stone, der als authentizitätsscheuer Postdramatiker und Jelinek-Schüler mit der Deckungsgleichheit von Figur und Rede entschieden hadert.

Den Chor hat Köck von der Pike auf gelernt. Das Songtexte-Schreiben führte ihn später direkt zu dem für seine erstklassige chorische Praxis bekannten Theatercombinat von Claudia Bosse nach Wien. Dort hat Köck seine Bühnensprache und das Verständnis dafür entwickelt, wie Schauspielerkörper auf Texte reagieren. In puncto Theaterpraxis ist er also vielen Autoren um eine Nasenlänge voraus.

Köck kann man zudem getrost Teamfähigkeit unterstellen. Das Solidarische ist – bei allen rasch eintretenden Ermüdungserscheinungen – das Merkmal einer jungen Theatergeneration, die von hierarchischen Strukturen nicht mehr allzu viel hält. Nicht zufällig die beste Vorbereitung auf die Apokalypse. (Margarete Affenzeller, 9.9.2020)