Uneinigkeit in der Frage des Stimmrechts für Ausländer in Wien: Michael Ludwig widerspricht der Forderung von Birgit Hebein, das Wahlrecht auszuweiten.

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Auf die Frage, ob Menschen, die seit fünf oder zehn Jahren in Wien leben, bei der Gemeinderatswahl wahlberechtigt sein sollten, antwortete Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) am Dienstagabend in der "ZiB 2": "Ich persönlich bin immer der Meinung, dass das Wahlrecht bei den gesetzgebenden Körperschaften verbunden sein sollte mit der österreichischen Staatsbürgerschaft." Der rote Spitzenkandidat positionierte sich damit gegen ein Ausländerwahlrecht, wie es derzeit von vielen gefordert wird.

Ein Drittel der Wienerinnen und Wiener ist am 11. Oktober auf Gemeindeebene nicht stimmberechtigt, weil sie über keine österreichische Staatsbürgerschaft verfügen. Die Zahl nimmt stetig zu. In Rudolfsheim-Fünfhaus ist bereits die Hälfte aller Menschen aufgrund ihrer Nationalität von der Wahl ausgeschlossen. Studien zeigen, dass das zunehmend zu Politikverdrossenheit führt, Sozialarbeiter warnen, dass es langfristig Auswirkungen auf die Bereitschaft zur Beteiligung am politischen Prozess haben wird.

Andere Position in der Vergangenheit

Die jetzige Aussage Ludwigs kommt einigermaßen überraschend, war doch die Position der Wiener SPÖ in den vergangenen Jahren differenzierter. Prinzipiell sind auch nichtösterreichische EU-Bürger auf Gemeindeebene – und in Wien auf Bezirksebene – wahlberechtigt. Ändern lässt sich der Status quo nur auf Bundesebene. Denn ein Versuch, das auf Wiener Ebene zu regeln, ist bereits einmal gescheitert: Eine entsprechende von SPÖ und Grünen initiierte Regelung, die allen Ausländern (und nicht nur EU-Bürgern) nach fünf Jahren Aufenthalt das Wahlrecht auf Bezirksebene in Wien ermöglicht hätte, wurde 2004 vom Verfassungsgerichtshof gekippt. SPÖ und Grüne fassten daraufhin einen Gemeinderatsbeschluss, in dem sie den Bund auffordern, Ausländern ein kommunales Wahlrecht zu ermöglichen.

Im Wahlkampf zur Wien-Wahl 2015 forderte die SPÖ, ein Ausländerwahlrecht auch auf Gemeindeebene durch gesetzliche Änderungen auf Bundesebene zu ermöglichen. Und erst im November 2019 brachte die SPÖ gemeinsam mit den Grünen und den Neos in Wien einen Beschlussantrag ein, in dem der Bund aufgefordert wird, das Wahlrecht zumindest für EU-Bürger zu erweitern. Und zwar so, dass jeder das aktive und passive Wahlrecht auf allen Ebenen erhält, wo er oder sie seinen oder ihren Hauptwohnsitz hat. "Von Gemeinderat über Bundesland bis zum nationalen und europäischen Parlament soll jede_r Unionsbürger_in uneingeschränkt an der demokratischen Willensbildung teilnehmen können", heißt es darin.

Grüne fordern Ausweitung

Auch die Wiener Grünen vertreten eine andere Meinung als Ludwig. In ihrem Wahlprogramm, das sie am Mittwoch präsentierten, fordern sie ein "Wahlrecht für alle": "Alle, die in Wien leben, haben das Recht zu wählen", steht auf Seite 64 des 94 Seiten umfassenden Programms. Man wolle damit verhindern, dass sich Menschen "im schlimmsten Fall" von der Gesellschaft, in der sie leben, abwenden, wenn sie nicht wählen dürfen.

David Ellensohn, Klubobmann der Grünen und Nummer vier auf der Wahlliste, hob bei der Programmpräsentation den Unterschied zur SPÖ-Position hervor. Das sei der Vorteil eines Wahlkampfs, dass jede Partei nun ihre Vorschläge offenlege. Man habe nun die Möglichkeit, Unterschiede zu erkennen, warb er um Stimmen für die Grünen, die er im Fall des Ausländerwahlrechts als Partei bezeichnete, die eine klare Position beziehe.

"Programm für Herz und Lunge"

Ansonsten steht das Wahlprogramm der Grünen im Zeichen des Klimaschutzes und der Bewältigung der Corona-Krise in all ihren Auswirkungen. "Wir haben zwei Krisen zu bewältigen", sagte Vizebürgermeisterin und Spitzenkandidatin Birgit Hebein. Es gehe darum, in Sachen Klimakrise Maßnahmen zu setzen, wenngleich auch die Ankurbelung der Wirtschaft im Zentrum stehe. "Wir können aber nicht die Wirtschaft aufbauen und den Menschen signalisieren, es geht weiter, als gäbe es kein Morgen, denn dann gibt es wirklich irgendwann kein Morgen mehr", so Hebein.

Eine zentrale Forderung, die die Grünen im Wahlkampf bereits erhoben haben, ist die Einführung einer 35-Stunden-Woche für Gemeindebedienstete. Dadurch sollen 7.000 neue Jobs entstehen. Außerdem wiederholte Hebein die Forderung nach einem Gratisticket für die Öffis ein Jahr lang für alle Wienerinnen und Wiener.

Es gehe darum, den Klimaschutz mit der sozialen Frage zu verbinden. "Das Programm bietet etwas für das Herz und die Lunge", fasste Hebein zusammen.

Weiterer Schwerpunkt ist die Abkehr von fossilen Energieträgern. "Raus aus Öl und Gas, raus aus Benzin", so Hebein. Auch die Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs gehöre dazu: "Das heißt, öffentlichen Raum, den jetzt die Autos für sich gepachtet haben, den Menschen zurückzugeben." Spätestens 2030 wolle man zudem zu hundert Prozent auf Ökostrom zurückgreifen können.

Mehr Bäume, keine Obdachlosen

Planungssprecher Peter Kraus kündigte an, dass für jedes Kind, das in Wien geboren wird, ein Baum gepflanzt werde. 20.000 Bäume pro Jahr bzw. 100.000 in der nächste Legislaturperiode würde dies bedeuten. Die Listendritte Judith Pühringer forderte, in Wien bis 2030 die Wohnungslosigkeit abzuschaffen. Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen seien, sollten nach dem Prinzip "Housing First" eine Wohnung erhalten. (Vanessa Gaigg, Rosa Winkler-Hermaden, 9.9.2020)