"Taxi Orange", erste Staffel: Die Kandidaten und Kandidatinnen Andrea Konrad, Chris Kornschober, Linda Naar, Robert Höchtl, Walter Pirchl, Max Schmiedl kameraüberwacht im Kutscherhof.

Foto: ORF / Hans Leitner

Ein bisschen sehnsüchtig blickt ORF 1 diesen Freitag zurück in eine Zeit, in der dieser Sender mit seinem Programm wirklich viele Menschen beschäftigte. "Taxi Orange" nannte der öffentlich-rechtliche Sender seine Antwort auf den privaten Aufreger "Big Brother" auf RTL 2. Ein niederländisches Stück Reality-TV, wie man das damals nannte, oder gern auch voyeuristisches Containerfernsehen.

Beide Formate sperrten eine Handvoll junge Menschen in geschlossene Anstaltsräumlichkeiten und ließen sie von Kameras überwachen, mal mehr, mal weniger intim. Der ORF bemühte sich mit gemeinsamem Taxiunternehmertum, dem Schaustück öffentlich-rechtlichen Sinn zu geben.

Kathrin Zechner (57) hat das durchaus umstrittene Format als Programmintendantin des ORF (1995 bis 2001) erfunden und umgesetzt. 2004 bis 2011 war Zechner Intendantin der Musicalbühnen der Vereinigten Bühnen Wien. 2012 holte sie Alexander Wrabetz als TV-Direktorin zurück auf den Küniglberg, inzwischen ist sie Programmdirektorin des ORF-Fernsehens und damit kreative Zuliefererin für die von Lisa Totzauer und Alexander Hofer geleiteten ORF-Hauptchannels ORF 1 und ORF 2.

Kathrin Zechner 2000 bei einer Debatte über das durchaus umstrittene ORF-Reality-Format "Taxi Orange".
Foto: ORF Hans Leitner

STANDARD: Sie haben vor zwei Jahrzehnten als Programmintendantin mit "Taxi Orange" ein Format in den ORF gebracht, das für einige Debatten und Kritik gesorgt hat: Man sprach damals von "Containerfernsehen", das Kandidaten, beobachtet von Kameras, über Wochen zusammensperrte. "Big Brother" war das kommerzielle Schlüsselformat und große Thema. Wie setzt man ein Format wie dieses im öffentlich-rechtlichen ORF durch?

Zechner: Neues, Spannendes sorgt Gott sei Dank für Debatten. Wir haben uns damals die Aufgabe gestellt, eine kluge, spannende Alternative zum internationalen Trash-Phänomen "Big Brother" zu finden, und das ist einem Top-Team mit Mischa Zickler, Tobias Krause, der Interspot Film, Kurt Pongratz und den Entdeckungen am TV-Schirm, Dodo Roščić und Oliver Auspitz, in beeindruckendem Maß gelungen.

STANDARD: Gehen Reality-TV bzw. Containerfernsehen und öffentlich-rechtlicher Rundfunk zusammen?

Zechner: Formate wie "Taxi Orange" sind eben klug und dennoch spannend! Ich halte wenig vom Predigen von der Kanzel oder uninspiriertem Kommentar von der Seitenlinie. Diese Idee war mutig, anders und herausfordernd. Kein biersaufender Assi-Container, sondern interessante, vielfältigste junge Erwachsene, die die Taxiprüfung machen und für die WG im Kutscherhof mit Taxifahren Geld verdienen mussten. Gesellschaftlich relevante Themen wie eben Jobs, Beziehungen, Homosexualität, Literatur, Alphatier-Kämpfe, Zukunftsängste wurden in der Mitte der Gesellschaft diskutiert, gelebt, erstritten. In ihrer Diktion: ein Dammbruch des diversen Diskurses auf Augenhöhe. Im Übrigen kreierten wir damals "Taxi Orange" als trimediales ORF-Flaggschiff – mit Website, Ö3, Fläche im TV-Vor- und Hauptabend mit aktuellen Bezügen und gescripteter Dramaturgie.

STANDARD: Wenn das zusammengeht, warum gibt es kein derartiges Format mehr im ORF?

Zechner: Jede Zeit hat Neues, was unterhaltsam und klug ist ... wie zum Beispiel "Österreich kann" (Self-Empowerment), "fakt oder fake" (Self-Awareness), "Science Busters" ("science you can use"), "Vorstadtweiber" (satirischer Spiegel) und vieles mehr.

STANDARD: Kann man bei "Taxi Orange" anno 2000 womöglich von einem zweiten Dammbruch im ORF sprechen – nach Gerhard Zeilers großer Programmreform 1995 mit vielen Anklängen an funktionierende Privatfernsehformate, da waren Sie ja Programmintendantin?

Zechner: Es ist unbefriedigend, den Privaten die Quantität ohne Qualität und den Öffentlich-Rechtlichen die Qualität ohne Quantität zuzuordnen. Öffentlich-rechtlich heißt, Verantwortung allen Beitragszahler und -zahlerinnen gegenüber zu zeigen, herausragend zu sein anzustreben und damit Respekt und Zuspruch zu erringen. Die herausforderndste Aufgabe des Programmmachens ist, erfinderisch zu sein, Instinkt mit Erfahrung zu matchen, intelligente und gleichzeitig attraktive Geschichten und Formate zu entdecken oder zu erfinden und vor allem umzusetzen. Wer nicht wagt, der nicht findet, wer nicht irrt, der nicht gewinnt.

STANDARD: Wäre ein "Taxi Orange" im ORF und in der Medienwelt des Jahres 2020 möglich, sinnvoll oder gar nötig?

Zechner: Eine besondere "Taxi Orange"-Jubiläumsausgabe wäre unter andren Umständen interessant gewesen – Formate, die aus der Mitte der diversen Gesellschaft kommen, uns spiegeln und gleichzeitig zum Denken anregen, sind immer nötig.

STANDARD: Was blieb von "Taxi Orange" im ORF?

Zechner: Zusammenhalt, Inspiration, Selbstbewusstsein und vor allem die unverrückbare Anerkennung der deutschen Kollegen und Kolleginnen gegenüber dem ORF als mutig und kreativ.

STANDARD: Nach Reality-TV kamen Casting- und Talentshows in vielen Varianten – auch im ORF. Viele hat der ORF so eigenständig nacherfunden wie "Taxi Orange" oder "Starmania". Warum gibt es eigentlich keine ORF-Variante eines Erfolgsformats wie "Masked Singer"?

Zechner: Eigenständig nach- und neuerfunden wie "Taxi Orange" oder die "Große Chance", "MA 2412" oder "Walking on Sunshine" – die Erfindungs- beziehungsweise Spin-off-Kraft ist doch besonders hoch bei uns. Es gibt Formate, die ich gern ersteigert hätte: "The Voice" und "Masked Singer". Ich denke, die Owner von "Masked Singer" sehen auch, die höchste Lizenz ist nicht alles. Erfolgreiche Programmmacher und -macherinnen müssen verlieren können – zwischen Gewinnen und Verlieren liegt das gefährliche Mittelmaß und das noch gefährlichere Nichtswagen.

STANDARD: Wie lange können Marathonformate wie "Millionenshow" und "Dancing Stars" noch funktionieren?

Zechner: Klassiker sind Klassiker, manche ewig wie die beiden, oder "Kommissar Rex", "Kaisermühlen Blues", "Sokos" etc. manche "sehr ewig" wie "Tatort" und hoffentlich unsere "Landkrimis".

STANDARD: Was ging, rückblickend betrachtet, bei der großen Freitag-Show-Offensive 2018 mit "Meine Mama kocht besser" und "Zur Hölle damit" schief?

Zechner: Das war der wichtige Versuch, kleine Formate gegen Riesenshows antreten zu lassen – 80.000-Euro-Formate gegen 1,5-Millionen-Euro-Shows. Erkenntnis: Sie haben sich zwar wacker geschlagen, die Antwort auf große Shows sind aber große Shows beziehungsweise große Fiction-Events.

STANDARD: Was ist denn das nächste große Ding des Showfernsehens?

Zechner: Je nach Möglichkeiten die längst fällige nächste Sitcom und je nach Corona-Status eine der feinen Gesangs-Challenges – beziehungsweise eine durcherzählte Fläche im britischen Stil – let us see what we get.

STANDARD: Bräuchte nicht ORF 1 schön langsam ein neues Showformat? Haben Sie als Programmdirektorin sachdienliche Hinweise oder gar fertige Konzepte in der Lade?

Zechner: Wir arbeiten, beobachten und erfinden lustvoll ...

STANDARD: Wo liegt aus Ihrer Sicht insgesamt die Zukunft des Fernsehens in Zeiten des Streamings?

Zechner: Wie seit Urzeiten im Schwierigsten: in den besten, mutigsten und eigenständigsten Geschichten aus der Mitte der Seele unseres Landes.

STANDARD: 2021 wird das nächste ORF-Management bestellt. Wo sehen Sie sich ab 2022, wenn die nächste Funktionsperiode von Generaldirektor und Direktoren beginnt?

Zechner: Ich mache meinen Job mit Leidenschaft und viel Erfahrung und werde dabei von einem großartigen Team unterstützt. Die Erfolge der vergangenen Jahre sprechen für sich.

STANDARD: Sollten Sie dem Direktorium nicht mehr angehören – würde Sie eine ORF-Landesdirektion interessieren? Zum Beispiel Wien, das kursiert ja immer wieder als Möglichkeit?

Zechner: Das Setzen von Namen in verschiedene Positionen überlasse ich den Schachspielern – ich mache Programm. (Harald Fidler, 10.9.2020)