In vielen Küchen ist der Umgangston rau, das Team von Boys & Marie will auch mit einer angenehmen Arbeitsatmosphäre punkten.

Foto: Robert Newald

Ian verpasst seiner Kokos-Kürbis-Suppe gerade den letzten Feinschliff, in der Pfanne brutzeln die Garnelen, und dahinter witzeln seine Kollegen herum. Die Suppe soll in zwei Varianten auf dem neuen Speiseplan angeboten werden, sagt Ian konzentriert. Einmal einfach und einmal "aufgepimpt" mit Garnelen.

Der Chefkoch und sein Team wirken nicht nur jugendlich, sondern sind es auch. Ian und die meisten der anderen hier in der Küche des neuen trendigen Wiener Lokals "die Boys & Marie" sind hauptberuflich Schüler in einer Wiener Tourismusschule. Zur Ausbildung gehört es, über die Sommermonate ein Praktikum in einem Betrieb zu absolvieren, und genau das hatte die Truppe hinter Boys & Marie auch vor. Dann kam Corona, und für die Praktikumsplätze hagelte es Absagen.

Einer der betroffenen Schüler, Moritz, entwickelte im Juni mit seinem Vater, einem Unternehmensberater, die Idee, selbst ein Lokal aufzumachen. Moritz scharte Freunde wie Ian und Marie um sich. Statt sich regelmäßig im Bad zu treffen, arbeiten und hängen sie nun also im eigenen Lokal ab.

Anfang August war die Eröffnung. Und es läuft richtig gut. An mehreren Abenden der Woche sind die Boys & Marie, wo eine buntgemischte internationale Küche angeboten wird, ausreserviert.

Die Krise schlägt zu

Die Geschichte, so einzigartig sie sein mag, gibt doch einen guten Einblick in die Herausforderungen, vor denen junge Menschen, die dabei sind, ins Berufsleben einzusteigen, angesichts der Corona-Krise stehen. Das trifft auf ganz Österreich zu. Aber Wien, als größter und dynamischster Arbeitsmarkt mit einer noch einmal höheren Arbeitslosenquote, steht vor eigenen Problemen.

Die Corona-Krise hat Jüngere mehrfach getroffen. Da sind einmal die abgesagten Praktika. In Wien steht seit März ein Teil der Hotellerie still. Selbst wenn sie in Kurzarbeit sind, haben also hunderte Lehrlinge ihren Ausbildungsplatz de facto verloren. Für viele ist unklar, ob sie in dem Zweig, in dem sie ausgebildet werden, unterkommen. Moritz von den Boys & Marie hofft, später im Gastronomiemanagement zu arbeiten. Solange Corona andauert, wird es für die Branche ein Kampf. Die Einstiegsperspektiven waren schon besser.

Welche Gruppe die Folgen der Pandemie wirtschaftlich am meisten spürt, lässt sich dennoch nicht leicht sagen. Die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen ist in Österreich traditionell niedrig, und der Anteil der jungen Menschen unter allen Arbeitslosen ist konstant geblieben. Aktuell ist jeder zehnte beim AMS gemeldete Arbeitslose unter 25.

Viele der Betroffenen sind unter 25

Doch in den vergangenen Monaten ist die Arbeitslosenquote der Jüngeren stark gestiegen, und die Zahl der Beschäftigten unter 25 ist zurückgegangen. Knapp 40.000 Menschen unter 25 sind beim AMS arbeitslos gemeldet, 14.000 allein in Wien. Zählt man Schulungsteilnehmer dazu, sind 61.700 junge Menschen österreichweit betroffen.

Welche Schlüsse sollte die Politik ziehen? Der zentrale lautet wohl: in Ausbildung investieren.

Der Arbeitsmarktökonom Helmut Mahringer sagt, dass Brüche rund um den Berufseinstieg lange negativ nachwirken können. Die wissenschaftliche Evidenz ist nicht ganz eindeutig. Aber es gibt mehrere Studien, die verdeutlichen, was der Wifo-Ökonom meint.

Eine Untersuchung zum japanischen Arbeitsmarkt kam zu dem Ergebnis, dass bei schlecht ausgebildeten Arbeitskräften die Arbeitslosigkeit noch Jahre später höher war, wenn der Jobeinstieg schiefging und in die Zeit einer Rezession fiel. Andere Studien zeigen, dass bei höher qualifizierten Arbeitskräften, die in einer Rezession starten, die Einkommen selbst zehn Jahre später noch niedriger waren, als sie es ohne Krise gewesen wären. Unterschiedliche Gruppen sind also unterschiedlich betroffen.

Das Team hinter dem Pop-up-Lokal, das sich in einem ehemaligen Priesterwohnheim befindet.
Foto: Newald

Nun muss nicht alles an einer Krise schlecht sein. Wer es sich leisten kann, ein Studium zu machen, anstatt gleich zu arbeiten, hat langfristig vielleicht sogar mehr davon.

Aber längere Unterbrechungen zu vermeiden erscheint wichtig.

Das Konzept von Boys & Marie ist also richtig. Die Tourismusschule von Moritz und seinen Freunden hätte es dieses Jahr akzeptiert, wenn statt eines Praktikums nachgewiesen wird, dass man sich mehrmals vergeblich beworben hat. Mit der Eröffnung des Restaurants nimmt die Ausbildung der Gruppe aber fast ihren gewohnten Gang.

Wobei die Konstellation hinter dem Lokal einmalig ist. Die Boys & Marie haben sich in ein ehemaliges Priesterwohnheim eingemietet, das Lokal hat also ein eigenes Flair. Das Restaurant und sein Team erzählen eine Geschichte, was der Vater von Moritz gekonnt für die PR verarbeitet hat. Dieser Erfolg lässt sich kaum abkupfern.

Neue Lehrplätze entstehen

Wohl aber kann die Politik reagieren. Eingriffe am Arbeitsmarkt sind nur begrenzt möglich, tausende Jobs in der Gastronomie schaffen kann keine Regierung. Aber sie kann Ausbildungsplätze bereitstellen. Hier kommt die Überbetriebliche Lehrausbildung (ÜBA) ins Spiel. Im Gegensatz zur klassischen Lehre absolvieren junge Menschen bei der ÜBA ihre Ausbildung nicht im Betrieb, sondern bei einer vom AMS beauftragten Einrichtung. Dort werden sie zu Tischlern oder Restaurantfachkräften ausgebildet.

Unternehmer blicken mitunter kritisch auf diese Ausbildung, weil ihr Pool an potenziellen Lehrlingen kleiner wird. Doch in der Krise lässt sich viel mit den staatlich bereitgestellten Ausbildungsplätzen abfedern. In Wien wurde die Zahl der überbetrieblichen Lehrplätze um gut 300 auf über 4000 aufgestockt.

Damit soll die Kluft zwischen der Zahl der offenen Lehrstellen und der der Lehrstellensuchenden, die durch Corona ebenfalls größer geworden ist, kleiner werden. Laut AMS Wien könnten insgesamt gut 5000 Plätze bereitgestellt werden. Allein 500 von ihnen werden gebraucht, um Lehrlinge aus der Gastronomie und Hotellerie zu übernehmen, die ansonsten ihre Ausbildung in den Betrieben nicht fertigmachen können.

Die Stadt Wien fördert den Ausbau. Ob das reicht, weiß niemand: Der September wird entscheidend, weil da viele angehende Lehrlinge mit der Stellensuche beginnen. Spannend wird auch, ob die Stadtregierung der Frage noch so viel Aufmerksamkeit widmet, wenn der Wien-Wahlkampf einmal vorbei ist.

Die Boys & Marie, als Pop-up-Restaurant konzipiert, sperren Ende September zu. Das Gebäude, in dem man eingemietet ist, wird zu einem Hotel umgebaut. Die Gruppe überlegt, ob ein Fortbetrieb andernorts möglich ist. Ob es 2021 mit den Praktika einfacher wird, ist zweifelhaft. (András Szigetvari, 10.9.2020)