In den lose gestalteten Episoden des Films ist dies eines der stärksten Bilder: ein Mann und eine Frau schweben über dem zerstörten Köln am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Foto: Polyfilm

In der Straße Sibyllegatan in Stockholm gibt es zwei Restaurants für den täglichen Gebrauch: die Pizzeria Meno Male und den Indian Palace. In beiden stehen die Chancen gut, dass man am späteren Nachmittag einen älteren Herrn bei einem Bier und einem Grappa sitzen sieht, der versonnen lächelnd andere Menschen beobachtet. Es ist der Filmemacher Roy Andersson. Er wohnt und arbeitet gegenüber, in einem Haus, in dem er seit 40 Jahren sein Studio hat.

Auch sein neuer Film Über die Unendlichkeit ist da entstanden. Eine 78 Minuten kurze Summe eines Künstlers, der einen unverwechselbaren Blick auf die Welt hat. Andersson verbindet das ganz Große und das ganz Kleine, er ruft bedeutende Momente der Geschichte auf und daneben gleich wieder unscheinbare Details. Halbwegs geübte Kinomenschen würden vermutlich ungefähr zwanzig Sekunden brauchen, um einen Film von ihm zu erkennen.

Im Februar dieses Jahres gab es eine Gelegenheit, den 77 Jahre alten Andersson in seinem Studio in Stockholm zu besuchen. Das Gespräch begann mit einer Übersetzungsfrage, die er selbst stellte: Sollte der Film vielleicht besser "Über das Ewige" heißen? So habe ihm das jemand nahegelegt. Man könnte einwenden, dass das doch in eine andere Richtung geht und dass bei Unendlichkeit größere Offenheit mitschwingt als bei Ewigkeit.

Mit Andersson kann man Wörter abschmecken, als wären sie ein Büffelmozzarella von Meno Male. "Un-end-lich-keit." "End-less-ness." "Om det oändliga."

Absurde Schönheit

Andersson ist ein Enthusiast des Gewöhnlichen. Die Idee zu seinem neuen Film begann mit einem Bild, das er auf der Straße vor dem Haus sah: eine junge Frau beim Wässern einer Topfpflanze. In seiner Vorstellung wurde daraus eine Liebesszene mit einem jungen Mann, "der die Liebe noch nicht kannte". Viel mehr geschieht nicht, die Pflanze sieht ein wenig kümmerlich aus, aber es ist doch ganz eindeutig, worauf Andersson hinauswill: die "Schönheit der menschlichen Existenz".

Diese Schönheit geht in seinen Filmen immer mit einer latenten Absurdität einher. Im Jahr 2000 wurde er mit Songs from the Second Floor bekannt, da war er schon 57. Seither hat er im Durchschnitt alle sieben Jahre einen neuen Film herausgebracht, 2007 Das jüngste Gewitter und 2014 Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach. Die wurden alle in dem Gebäude in der Sibyllegatan gebastelt, in Handarbeit. Es gibt entfernte Verwandtschaften, zum Beispiel zu dem Blick, mit dem der Österreicher Ulrich Seidl auf die Skurrilität einfacher Leute schaut.

Aber bei Andersson öffnet sich das Bild immer wieder auf Welthistorisches, er nimmt in Über die Unendlichkeit die Glaubenskrise eines schwedischen Pastors genau so ernst wie die Apathie der letzten Nazis neben Hitler im Bunker wenige Momente vor dem endgültigen Untergang.

Die Sache mit Hitler beschäftigt ihn sehr. "Ich wurde 1943 geboren, mitten im Krieg. Mein Vater war Soldat und kämpfte gegen Norwegen, wo die Deutschen waren. Er sah diese aber nicht als Feinde. Sie tauschten Zigaretten, Schokolade und Erfahrungen. Sie schworen einen Eid, in Deutschland schworen Männer wie mein Vater auf Hitler."

Unzerstörbarkeit im Menschen

Damit man die Szene aus dem Führerbunker noch besser versteht, sollte man auch wissen, dass Andersson sie nach einem Bild inszeniert hat, das von einem stalinistischen Maler stammt, seine Vorstellungskraft geht Umwege über das andere totalitäre System.

Für Über die Unendlichkeit ließ Andersson sich von Scheherazade inspirieren. Die lose gestalteten Episoden des Films sind durch eine weibliche Stimme aus dem Off verknüpft. Das stärkste Bild wirkt wie eine Allegorie dieser Extremverbindung: eine Aufnahme von Köln am Ende des Zweiten Weltkriegs.

"Zuerst dachte ich eigentlich an Dresden, aber dann zeigte sich, dass Köln mit dem Rhein und mit dem Dom das stärkere Bild war. Als die Alliierten nach Deutschland kamen, beschloss Churchill, dass der Dom nicht zerstört werden sollte. Sie hatten Respekt vor dem Handwerk und der Ambition, die sich da zeigt. Sie haben den Dom für die Zukunft bewahrt."

Über diesem Bild, einem Modell von einer vernichteten Stadt, die im fahlen Licht der Katastrophe daliegt, schweben ein Mann und eine Frau im Himmel. "Sie repräsentieren die Unschuld. Selbst in Momenten der äußersten Negativität gibt es im Menschen etwas Unzerstörbares."

"Humor aus dem Nichts"

Die großen Fragen des europäischen Autorenkinos, die man nicht zuletzt mit dem Werk seines Landsmanns Ingmar Bergman verbindet, sind auch für Andersson virulent. Es sind ja keine anderen als die letzten Fragen der menschlichen Existenz. Aber er geht anders mit ihnen um. Er hatte eine sehr erfolgreiche Karriere in der Werbung, bevor er zum Kino kam. Aber schon in den 60er-Jahren auf der Filmschule in Stockholm wusste er, dass er etwas hatte, das ihn unterschied. "Ich kann aus Winzigem etwas Interessantes machen."

In seinem Büro hängt ein Plakat von Vittorio de Sicas Klassiker Fahrraddiebe, und wenn man ihn nach anderen Einflüssen fragt, dann nennt Andersson zwei Vertreter des Prager Frühlings: Miloš Forman und den jüngst verstorbenen Jiří Menzel. Liebe nach Fahrplan und Die Liebe einer Blondine, daran möchte er gemessen werden. "Humor aus dem Nichts", das ist es, was Andersson sucht.

"Ich möchte die Menschen nackt zeigen. Also jetzt nicht buchstäblich nackt. Verwundbar. Wir sind alle ausgeliefert in unserer Existenz." (Bert Rebhandl, 10.9.2020)