Die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl bewertet den anhaltenden Anstieg der Infektionszahlen in Österreich als "besorgniserregend".

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Ein ärztliches Attest für die betreffenden Schüler ist Voraussetzung für die Teilnahme an der Fernlehre.

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Österreichweit gab es in den vergangenen 24 Stunden 664 Neuinfektionen.

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Das Wichtigste in Kürze:

  • In Österreich wurden am Donnerstag 664 Neuinfektionen registriert. 387 davon kommen aus Wien, es folgen Niederösterreich mit 94 und Tirol mit 64.
  • Bundeskanzler Kurz übt Kritik an der Ampel-Kommission und fordert das "Ende vom Schönreden der Zahlen".
  • Wegen der stark steigenden Coronavirus-Fälle fordert Wien die Wiedereinführung von strengeren Maßnahmen. Zudem stellt die Bundeshauptstadt 50 Millionen Euro für ein drittes Corona-Hilfspaket zur Verfügung.
  • Die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl bewertet den anhaltenden Anstieg der Infektionszahlen in Österreich als "besorgniserregend".
  • Die türkis-grüne Regierung setzt alles daran, die Corona-Gesetz-Novellen bereits im September durch den Nationalrat zu bringen. Die Opposition kritisiert den Termindruck.
  • Im Flüchtlingsquartier "Haus Franziskus" in Eisenstadt ist ein weiterer Asylwerber positiv getestet worden. Insgesamt sind dort nun sieben Menschen erkrankt. In der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurologie liegen neun Corona-Infektionen vor.
  • Auch im neuen Schuljahr können einige Schüler die Möglichkeit des Fernunterrichts nutzen. Dazu gehören etwa Risikogruppen. Voraussetzung dafür ist ein ärztliches Attest.
  • Laut einer Hochrechnung gab es in den USA zu Beginn der Pandemie neunmal so viele Infektionen mit dem Coronavirus, wie offiziell bekannt war.
  • Die Pandemie trifft den Tourismus in Ungarn und Deutschland hart.

Wien fordert Verschärfung der Maßnahmen

Wien fordert angesichts der stark steigenden Coronavirus-Fälle die Wiedereinführung von strengeren Maßnahmen. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) kündigte am Donnerstag gegenüber der APA an, das mit dem Bund zu besprechen. Nötig seien entweder neue bundesweite Regelungen oder die Möglichkeit, regional Maßnahmen zu verhängen.

Welche Verschärfungen er für sinnvoll erachtet, will Hacker am Freitag nach dem Gespräch berichten. Er deutete jedoch an, dass es zusätzliche Verpflichtungen zum Tragen des Mund-Nasen-Schutzes sowie neue Bestimmungen bei der Höchstzahl von Menschen in Innenräumen oder auch bei Veranstaltungen im Freien geben könnte.

Dass Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zuvor wieder schärfere Töne Richtung Wien angeschlagen hat ("Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ, Anm.) muss endlich die Realität akzeptieren"), kommentiert Hacker so: "Offenbar ist er schon im Wahlkampffieber."

Kurz: "Kein Schönreden der Zahlen"

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigt sich in Anbetracht der steigenden Infektionszahlen besorgt. Er fordert wegen der "explodierenden Zahlen" von der Ampel-Kommission "schärfere Maßnahmen und kein Schönreden der Zahlen", heißt es in diversen Medienberichten. Den für Donnerstagabend geplanten Wahlkampfauftakt in der Lichtenfelsgasse hat die Wiener ÖVP abgesagt. Die Veranstaltung wird nun via Livestream übertragen.

Von Mittwoch auf Donnerstag wurden in Österreich 664 Menschen positiv auf Covid-19 getestet, die meisten Neuinfektionen gab es erneut in Wien mit 387. Am Freitag wird dann veröffentlicht, wie Wien und die restlichen Gebiete bewertet werden. Am Donnerstagvormittag bekräftigte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), dass er derzeit nicht mit Orange rechne.

Anstieg der Infektionszahlen für Virologin "besorgniserregend"

Die jüngsten Zahlen nachgewiesener Covid-19-Infektionen in Österreich mit über 500 neuen Fällen täglich wertet die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl als einigermaßen "besorgniserregend". Ungeachtet der Frage, ob die seit Montag erhöhten Tageswerte zum Teil auf Nachmeldung von früheren Testungen zurückzuführen sind, gehe der längerfristige Corona-Trend "wirklich hinauf".

Die Forscherin fordert daher eine verbesserte und raschere Fallidentifikation und Kontaktnachverfolgung. Nicht nur in Österreich dauere es mitunter immer noch mehrere Tage, bis diese Maßnahme ins Rollen kommt. Hier handle es sich aber "um das Mittel, das die Epidemie derzeit bekämpfen kann. Das ist auch der Tenor aus verschiedenen Ländern", so Puchhammer-Stöckl.

Die Wissenschafterin sitzt als eine von fünf Expertinnen und Experten im 19-köpfigen Ampel-Gremium. Für sie ist die Ampel "ein wirklich gutes Werkzeug zur epidemiologischen Einschätzung, die passgenau für kleinere Bereiche ist – sonst würde ich da nicht mitmachen". Man müsse eben unterscheiden, ob es in einem ländlicheren Bezirk einen größeren Cluster und sonst nahezu keine Fälle gibt oder man es mit einem ständigen Infektionsgeschehen etwa in einer Stadt zu tun hat. "Das ist einfach anders zu bewerten", sagte die Virologin.

Corona-Gesetz-Novelle: Türkis-Grün pocht auf Septemberbeschluss

Die von der Regierung geplanten Corona-Gesetz-Novellen, die auch rechtliche Grundlagen für die Corona-Ampel schaffen sollen, sorgen weiter für Turbulenzen zwischen den Parlamentsfraktionen. In der Begutachtung heftig kritisiert, soll der überarbeitete Entwurf nun am Montag vorliegen und mit den Fraktionen besprochen werden. ÖVP und Grüne streben den Beschluss für 23. September an, doch die Opposition, vor allem die FPÖ, bremst. Für sie will die Regierung die Novelle zu schnell durchpeitschen: "Wir fordern ganz klar eine ordentliche, zumindest dreiwöchige Begutachtungsfrist für so schwerwiegende Gesetze", so FPÖ-Gesundheitssprecher und Gesundheitsausschuss-Obmann Gerhard Kaniak. Auch SPÖ und Neos kritisieren den Termindruck.

Weiterer Fall in Eisenstädter Flüchtlingsquartier

Im Grundversorgungsquartier "Haus Franziskus" in Eisenstadt ist ein weiterer Asylwerber positiv auf das Coronavirus getestet worden. Insgesamt sind in dem Quartier damit sieben Menschen erkrankt. Alle anderen Ergebnisse der zweiten Screening-Testung waren negativ, teilte der Koordinationsstab Coronavirus am Donnerstag der APA mit.

Die Screening-Testungen wurden durchgeführt, weil ein minderjähriger Asylwerber, der mit seiner Familie in ein Quartier nach Wien verlegt werden sollte, positiv getestet worden war. Bei einem ersten Screening waren fünf weitere Bewohner positiv. Die Ergebnisse der Mitarbeiter waren allesamt negativ. Die Infizierten wurden laut dem Koordinationsstab isoliert untergebracht und die Bewohner unter Quarantäne gestellt.

An der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurologie liegen neun positive Corona-Fälle vor. Betroffen sind sechs Mitarbeiter und drei Patienten, sagte Kliniksprecher Johannes Schwamberger der APA und bestätigte damit einen Bericht der "Tiroler Tageszeitung". Bei einer Infizierten handelt es sich um eine Pflegemitarbeiterin, von der die Ansteckung ausgegangen sein dürfte. Wo sich die Frau angesteckt hatte, war vorerst unklar. Sie hatte Symptome verspürt und sich daraufhin testen lassen. Testungen von Mitarbeitern, die am Mittwoch nicht auf der Neurologie zugegen waren, standen noch aus.

Weiter Fernunterricht für Risikogruppen

Auch im neuen Schuljahr gibt es die Möglichkeit des Fernunterrichts für Schüler, die einer Risikogruppe angehören bzw. für die steigende Corona-Infektionszahlen besonders psychisch belastend sind. Voraussetzung dafür ist ein ärztliches Attest.

Die Voraussetzungen für die freiwillige Inanspruchnahme des Distance-Learning hat Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) jüngst in einer Verordnung festgelegt. Schüler müssen dafür entweder nachweislich in die sogenannte Covid-19-Risikogruppenverordnung fallen – also z. B. an bestimmten chronischen Herz- oder Lungenleiden oder Krebs erkrankt sein – oder mit Angehörigen einer solchen Risikogruppe im gleichen Haushalt leben. Ebenfalls antragsberechtigt sind Schüler mit einer Erkrankung, die eine Isolation zwingend nötig macht, sowie Kinder und Jugendliche, für die steigende Corona-Infektionszahlen eine besondere psychische Belastung darstellen. Am Ende des letzten Schuljahrs haben von einer ähnlichen Regelung rund 6.600 Schüler Gebrauch gemacht.

Wohl deutlich mehr Amerikaner hatten Corona als bekannt

In den USA haben sich einer Hochrechnung zufolge zu Beginn der Corona-Pandemie wohl rund neunmal so viele Menschen mit dem Virus infiziert wie offiziell bekannt. Von etwa Mitte Jänner bis Mitte April habe es im Land womöglich bereits rund sechseinhalb Millionen Fälle gegeben, schreiben die Wissenschafter um Jade Benjamin-Chung und Sean Wu von der University of California in Berkeley in "Nature Communications".

Offizielle Statistiken geben für diesen Zeitraum 721.245 Fälle an. In den USA leben rund 330 Millionen Menschen. Eine deutliche Dunkelziffer bei den Corona-Zahlen gibt es nach Experteneinschätzung auch in etlichen anderen Ländern, zum Beispiel in Indien und Brasilien.

Fremdenverkehr in Ungarn wegen Grenzsperre "auf null"

Die Corona-Krise trifft den Tourismus nach wie vor hart. Ungarn hatte am 1. September aufgrund steigender Infektionszahlen die Grenzen für Ausländer gesperrt. Der dortige Hotel- und Gaststättenverband ortet deswegen einen massiven Schaden. "Die Maßnahme hat den Fremdenverkehr in Ungarn auf null gestellt", sagte Verbandspräsident Tamas Flesch der Deutschen Presse-Agentur. Dabei sei gerade der frühe Herbst mit seinem relativ milden Klima eine gute Zeit für den Städtetourismus. "Die Auslastung der Budapester Hotels beträgt derzeit zwischen null und fünf Prozent", sagte Flesch. Ohne Grenzsperre wären zumindest 25 Prozent möglich gewesen.

Auch die deutsche Tourismusbranche leidet stark. Die Zahl der Übernachtungen brach im Juli im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 22,8 Prozent auf 45,4 Millionen ein, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Besonders Besucher aus dem Ausland blieben fern (minus 56,7 Prozent). (red, APA, 10.9.2020)