Die Corona-Pandemie stand im Mittelpunkt der ersten Diskussion aller Wien-Spitzenkandidaten.

Foto: APA/HANS PUNZ

Wien – Es war die "Elefanten"-Premiere im aktuellen Wien-Wahlkampf: Am Mittwochabend trafen die Spitzenkandidaten der sechs im Landtag vertretenen Parteien erstmals direkt aufeinander. Inhaltlich dominierten die Debatte über weite Strecken die Themen Coronavirus und Integration. Der ÖVP-Spitzenkandidat, Finanzminister Gernot Blümel, ließ insofern aufhorchen, als er explizit um vormalige FPÖ-Stimmen warb.

Die erste Hälfte der von ORF-Radio-Innenpolitikchef Edgar Weinzettl moderierten, 90-minütigen Ausgabe der Ö1-Reihe "Klartext" war allerdings für die diversen Aspekte der Corona-Pandemie reserviert, wobei hier die Bundesebene mindestens eine ebenso große Rolle spielte wie die Kommunalpolitik. Das wurde gleich bei der ersten Frage klar, als die kürzlich in Betrieb genommene Corona-Ampel abgehandelt wurde, die in Wien auf Gelb steht.

Kritik an "Wien-Bashing" und "Panikmache" der Bundesregierung

SPÖ-Chef und Bürgermeister Michael Ludwig forderte vom Bund erneut mehr Transparenz bei der Farbgebung für einzelne Regionen. Er zeigte sich generell enttäuscht darüber, dass anstatt einer Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung sofort das "Wien-Bashing" seitens der Bundesregierung begonnen habe, nachdem sich die anfängliche Virusausbreitung wieder etwas entspannt habe.

Bürgermeister Michael Ludwig ist Spitzenkandidat für die SPÖ.
Foto: APA/HANS PUNZ

Während Neos-Chef Christoph Wiederkehr die Ampelsystematik als "politischen Basar" kritisierte und sich in Krisenzeiten jeglichen "Hickhack" zwischen Bund und Wien verbat, bezeichnete der FPÖ-Listenerste Dominik Nepp die Regelung generell als "absurd und strikt abzulehnen". Einig war sich Nepp mit dem früheren FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der nach dem Ibiza-Skandal nun mit dem Team HC ein Comeback versucht, insofern, als beide von "Angst- und Panikmache" der Regierung sprachen. Überhaupt gerieten die beiden Ex-Parteifreunde an diesem Abend kein einziges Mal aneinander.

Heinz-Christian Strache tritt mit dem Team HC an.
Foto: APA/HANS PUNZ

Hilfspakete und "Phantom-Milliarden"

Bund-lastig wurde es dann auch bei der Besprechung der Corona-Hilfspakete. Hier kam recht schnell Blümel in die Schusslinie, der zuvor über millionen- bis milliardenschwere Finanzspritzen referierte, von denen auch Wien stark profitiere. Hebein bemängelte, dass das Geld nicht entsprechend ankomme: "Da ist der Herr Finanzminister gefordert", adressierte sie an den türkisen Spitzenkandidaten.

Birgit Hebein von den Grünen im Schlagabtausch mit Gernot Blümel von der ÖVP.
Foto: APA/HANS PUNZ

Die grüne Spitzenkandidatin selbst brachte einmal mehr den Vorschlag einer 35-Stunden-Woche für alle Stadt-Wien-Bediensteten ein, was wiederum Blümel als "nicht nachvollziehbar" quittierte: "Wie kommt man auf die Idee, mehr Wohlstand zu erreichen, wenn wir weniger arbeiten?" Ludwig schien der "Arbeitszeitverkürzung in dieser Dimension" nicht ganz abgeneigt, aber das müsse sozialpartnerschaftlich ausverhandelt und in puncto Finanzierung geklärt werden.

Nepp sprach in Richtung Blümel von "Phantom-Milliarden": "Sie retten sich jetzt noch über die Wien-Wahl", dann werde die große Pleitewelle kommen. Strache befand ebenfalls, dass der Bund viele Betriebe im Stich gelassen habe – und war damit auch auf einer Linie mit Wiederkehr, dem die viel zu bürokratische Abwicklung sauer aufstieß: Die Steuerberater hätten hier gutes Geschäft gemacht. Ludwig strich indes die stadteigenen Hilfspakete hervor, die in den vergangenen Monaten beschlossen wurden.

ÖVP wirbt bei Integration um blaue Wähler

Zweiter großer Debattenschwerpunkt war die Integration. Blümel sah im neuen Integrationsbericht für Österreich den besten Beweis dafür, dass es in Wien eine "Mitte-rechts-Politik mit Anstand" brauche. "Da lachen ja die Hühner", konterte FPÖ-Chef Nepp. "Sie sind nicht die Lösung, Sie sind das Problem", sah er Versäumnisse der ÖVP im Zuge der Flüchtlingsbewegung 2015.

FPÖ-Spitzenkandidat Dominik Nepp
Foto: APA/HANS PUNZ

Der türkise Spitzenkandidat nahm das zum Anlass, jene Wähler anzusprechen, die zuletzt von den Freiheitlichen mehrmals enttäuscht worden seien: "Für diese Wähler gibt es nur eine Möglichkeit, wenn man will, dass dieses Problem mit Vernunft und Hausverstand angegangen wird – nämlich eine türkise Politik. Wir sind die einzige Mitte-rechts-Partei, die regierungsfähig ist. Wenn wir wollen, dass diese Situation in Wien sich verbessert, dann darf ich um Ihre Stimme ersuchen." Denn SPÖ, Grüne und Neos würden sich des Problems nicht annehmen. Er verwies auf den von den drei Parteien unlängst geäußerten Wunsch, 100 Flüchtlingskinder aus dem – inzwischen abgebrannten – griechischen Flüchtlingslager Moria in Wien aufzunehmen.

Ludwig will Menschen nicht "auseinanderdividieren"

Nachdem Strache sich als "Sprecher der deutschsprachigen Kinder in Wien, der neuen Minderheit" – gemünzt auf den teils hohen Migrantenanteil an Wiener Pflichtschulen – tituliert hatte, fand Hebein die "Drei-Buben-Freundschaft" endgültig "ein bissl tief": "Es ist eine Frage der Menschlichkeit, dass wir 100 Kinder aus Moria aufnehmen." Und ja, zwecks besserer Integration brauche es mehr Personal an den Schulen. Damit replizierte die Vizebürgermeisterin auch auf eine Beobachtung des Neos-Chefs, wonach es in Wien "immer noch mehr Bezirksvorsteher-Stellverteter als Schulpsychologen" gebe.

Neos-Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr.
Foto: APA/HANS PUNZ

Der Bürgermeister selbst räumte bezüglich Integration "große Herausforderungen" ein, stellte aber klar, dass er sicher keine Stadtmauer um Wien bauen werde. Und er wende sich dagegen, das Thema politisch zu benutzen, "um Menschen auseinanderzudividieren". Es gebe hunderttausende Menschen mit Migrationshintergrund, die einen wertvollen Beitrag für die lebenswerteste Stadt der Welt leisten würden. "Ich werde nicht zulassen, dass hier alle in einen Topf geworfen werden."

Keine klare Antwort auf Koalitionsfrage

Eher knapp gestreift wurden wegen der fortgeschrittenen Zeit Themen wie leistbares Wohnen, Verkehr oder Klimaschutz. Ganz zum Schluss versuchte es Moderator Weinzettl bei Ludwig noch mit der Koalitionsfrage. Neben FPÖ und Team HC, die er als Regierungspartner schon ausgeschlossen habe, setze auch die ÖVP stark auf das Thema Migration. Ob das ein Ausschließungsgrund für Verhandlungen sei? Eine klare Antwort blieb der Bürgermeister schuldig – nur so viel: Er bedaure persönlich sehr, "dass die ÖVP, die ja christlich-soziale Wurzeln hat und lange Zeit einen sehr liberalen Flügel gehabt hat, jetzt im Wettstreit mit dem Team HC und der FPÖ steht". (APA, 10.9.2020)