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Elektronenmikroskopische Aufnahme von Sars-CoV-2. Das hochinfektiöse Virus befindet sich in einigen Ländern Europas erneut auf dem Vormarsch.
Foto: AP/NIAID/NIH

Seit vergangenem Wochenende weist Frankreichs Corona-Kurve steil nach oben: Binnen 24 Stunden wurden 8.975 Neuinfektionen nachgewiesen – ein neuer Tagesrekord. Auch in Spanien steigen die Fallzahlen rasant. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich nun in Österreichs Nachbarland Tschechien. Wie die dortigen Gesundheitsbehörden am Mittwoch bekanntgaben, wurden in 24 Stunden 1.164 Neuinfektionen bestätigt, so viele wie noch nie an einem Tag. Zum Vergleich: Der bisherige Tageshöchstwert betrug 796. Auf einer Rekordhöhe ist mit 9.272 auch die Zahl der aktiv Infizierten – die meisten davon mit milden Verläufen. Deutschland warnte Mittwochabend vor Reisen nach Prag.

Ist dies schon der Vorbote der gefürchteten "zweiten Corona-Welle", die nun über Europa hereinbricht? Das sei derzeit noch schwer zu beurteilen, meinen die Experten. Ein Zusammenhang der zunehmenden Infektionen mit der Urlaubssaison sei jedoch wahrscheinlich, ist doch Kroatien das beliebteste Urlaubsland der Tschechen.

Unklare Ausgangslage

Besonders was die tatsächliche Verbreitung des Virus betrifft, sei die Situation aktuell kaum einzuschätzen, meint Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité. Die tatsächlichen Fallzahlen könnten im Vergleich zu den offiziellen Zahlen doppelt so hoch oder auch 20-mal so hoch. "Wir müssen uns ehrlich eingestehen, dass wir nicht genau wissen, wo das Virus gerade überall ist", erklärte er kürzlich in einem NDR-Podcast.

Dass in einigen Ländern die Infektionsraten so rasch ansteigen, könnte durch einen Effekt erklärt werden, den man in der Physik als Perkolation kennt, also als "Durchsickern" ab einem gewissen Schwellenwert, wie Drosten erklärt. Der Virologe illustriert den Sachverhalt mit einem Beispiel aus dem Küchenalltag: Beginnt das heiße Wasser bei einer herkömmlichen Filterkaffeemaschine auf das Kaffeepulver zu tropfen, wird das Material zunächst durchfeuchtet, und Hohlräume werden gefüllt, unten kommt aber vorerst noch kein Kaffee heraus. Erst wenn sich das Wasser einen Weg durch das Pulver gebahnt hat und ein gewisser Schwellenwert überschritten wird, beginnt der Kaffee zu fließen.

Verzögerte Ausbreitung

Auf Sars-CoV-2 bezogen bedeutet das: Im Verlauf der Epidemie breitet sich das Virus in Clustern aus, so viel wissen Forscher mittlerweile. Solange man diese isolieren kann oder die Cluster-Mitglieder unter sich bleiben, lässt sich eine Ausbreitung der Infektion weitgehend verhindern. Kommt es jedoch wieder zu einer größeren Vermischung, etwa bei Großveranstaltungen oder durch Reisen ins Ausland – verbinden sich also einzelne Gruppen vorübergehend zu größeren Clustern –, dann kann das Virus leichter weiterwandern – zunächst meist noch ohne erkennbaren Effekt.

Wird bei dieser Entwicklung eine gewisse Schwelle überschritten und sind zu viele unentdeckte Cluster untereinander vernetzt, steigt die Zahl der Infektionen vielerorts schlagartig an. Im schlimmsten Fall lassen sich die Infektionsketten dann nicht mehr kontrollieren, so Drosten. Er vermutet, dass genau das zuletzt in Frankreich geschehen ist. (red, 10.9.2020)