"Ein Teil der Bevölkerung ist je nach Kontext in ständiger Erklärungsnot gegenüber der Dominanzgesellschaft", kritisiert der Logopäde und Lehrer Ali Dönmez im Gastkommentar.

Es war nur ein Nebensatz – aber er verdeutlicht, wie hierzulande über "Integration" geredet wird. Die türkise Ministerin Susanne Raab sagte bei der Präsentation des sogenannten Integrationsberichts, dass sie kein Chinatown und kein Little Italy wolle. Der FPÖ-Chef griff das Wording sofort auf. Für Norbert Hofer ist das "ein Unsinn". Österreich habe kein Problem mit Zuwanderern aus China oder aus Italien. Ein solches sieht er in einem angeblichen Little Istanbul in Wien.

Die Reaktionen waren vielfältig – und auch enttäuschend. "Little Italy ist so toll. Ich hätte gern ein Little Italy. Oder Chinatown. Pizza ist super. Ich wünsche mir noch Little X und Little Y", so lautete der Tenor in Social Media. Diese Debatte zeigt, dass Zuwanderer und ihre Nachkommen, also wir, ein Selbstbedienungsladen für die Dominanzgesellschaft sind. Wir sind Menschen, über die ihr da redet! Es geht nicht darum, ob man Pizza oder Wok-Nudeln mag. Wenn man kein Little Italy, kein Chinatown haben will, dann meint man Menschen. Es geht um eine Existenzberechtigung, die Menschen unabhängig von einem vermeintlichen "kulturellen Nutzen" in diesem Land zustehen sollte. Deswegen wünsche ich mir als Reaktion nicht Aussagen wie "Pizza ist so toll", sondern eine klare Positionierung gegen Rassismus.

Gleiche Logik

Es hat lange Tradition, dass Menschen aus der Dominanzgesellschaft Minderheiten gegeneinander ausspielen. Raab hätte die FPÖ rechts überholt, hieß es. Aber sowohl Raabs als auch Hofers Aussagen sind Teil der gleichen Logik, "gute Ausländer" gegen "schlechte Ausländer" auszuspielen. Hofers Aussage habe ich als Kind schon gehört. Es gäbe immer nur Probleme mit den Türken, den Muslimen, nie mit Chinesen. Chinesinnen und Chinesen waren die gut "Integrierten" – bis Corona ausbrach. Dann waren asiatisch aussehende Menschen plötzlich eine Zielscheibe, und antiasiatischer Rassismus nahm zu, besonders in der Form von Pöbeleien, Beschimpfungen, tätlichen Angriffen.

In einem Onlinemedium war übrigens der Zusatz zu lesen, dass sich die Ministerin auf Stadtviertel beziehe, in denen sich "ausländische Bevölkerungsgruppen" konzentrierten. So funktioniert Rassismus eben. Wenn du bestimmte Merkmale hast, dann bist du nicht von hier.

Ein Viertel der österreichischen Bevölkerung ist entweder selbst zugewandert oder hat zugewanderte Eltern.
Foto: Christian Fischer

Das Normverständnis

Aber im Kern geht es hier ja eigentlich nicht um Little Italy und Chinatown. "Jeder Vierte mit türkischem Migrationshintergrund identifiziert sich eher mit der Türkei, jeder Zweite mit tschetschenischem Hintergrund eher mit Tschetschenien, während sich 84 Prozent aller Bosnier Österreich zugehörig fühlen", erklärte Raab. "Man sieht, dass es Unterschiede bei der kulturellen Integration je nach Herkunftsland gibt." Also: gute Ausländer, schlechte Ausländer. Typisch auch für die Debatten zum Thema Mehrsprachigkeit.

Der Anteil an Kindern in Betreuungseinrichtungen mit nichtdeutscher Umgangssprache sei bereits bei 60 Prozent, hieß es. Es gibt ein bestimmtes Normverständnis. Ein "normales" Kind in Österreich hat Deutsch als Erstsprache. Kinder, die in Österreich auf die Welt kommen und eine nichtdeutsche Familiensprache haben, kommen also mit einem Defizit auf die Welt. Es gibt ein bestehendes System, an das sie angepasst werden müssen. Sie kommen sozusagen "kaputt" auf die Welt, und im Laufe ihres Lebens müssen sie "repariert" werden, damit sie im Bildungsapparat funktionieren.

"Nützliche" Sprachen

Familien sollen sich "integrieren", aufhören, zu Hause ihre Familiensprache zu sprechen, nur um dann ihre Kinder in die Schule zu schicken, damit sie dort Englisch oder Französisch lernen. Aber Englisch ist eine internationale Sprache, die nützlich ist. Und Französisch ist so schön, das kommt immer gut an. Es ist im Grunde eine Kosten-Nutzen-Analyse. Das ist unter anderem auch der Grund, warum Mehrsprachigkeit so selektiv gefördert oder gar unterdrückt wird. Englisch, Französisch sind "nützlich" in den Augen der Dominanzgesellschaft. Türkisch? Arabisch? Die Mehrheitsmeinung dazu: "Brauche ich nicht, brauchst du also auch nicht."

Wir sind weit davon entfernt, eine Diskussion darüber zu führen, wie wir das bestehende Bildungssystem so formen können, dass es allen Kindern in Österreich gerecht werden kann. Stattdessen wird mit allen möglichen politischen Mitteln versucht, Kinder systemgerecht zu formen. Diskussionen über Machtverhältnisse sind vielen zu theoretisch. Ein Teil der Bevölkerung hat aber die Macht, sogar die Sprache, die Familien zu Hause sprechen, zum Diskussionsthema zu machen. Und daraus "Integrationsforderungen" abzuleiten. Fügst du dich, ordnest dich unter, bist du ein guter Ausländer. Vielleicht sogar Österreicher oder Österreicherin – an guten Tagen. Beschwerst du dich, sollst du das Land verlassen. Es geht eben nicht um Zusammenleben, sondern um "Integration".

Keine Augenhöhe

Es geht nicht um eine gemeinsame Gestaltung. Es gibt keine Diskussion auf Augenhöhe. Ein Teil der Bevölkerung ist je nach Kontext in ständiger Erklärungsnot gegenüber der Dominanzgesellschaft. Welche Sprache wir zu Hause sprechen, woran wir glauben oder warum wir überhaupt da sind. Deshalb meine Bitte: Spielen wir doch das rassistische Spiel "gute Ausländer / schlechte Ausländer" nicht mit, übernehmen wir diese Logik nicht! Weil es einfach kein Ende hat. (Ali Dönmez, 11.9.2020)