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Australiens Buschbrände sorgten Ende 2019 für große Sorge. Es waren die massivsten seit Menschengedenken auf dem Kontinent.

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Alles abgebrannt ist in vielen Ortsteilen von Lake Conjola.

Foto: Urs Wälterlin

Elaine Caswell ist, was man in Australien ein "tough cookie" nennt – eine harte Nuss. Stoisch ist die pensionierte Sportlehrerin – eine Frau mit Kontrolle über sich, über ihr Leben, über ihre Gefühle. Selbst wenn der Tod vor der Haustüre steht. Wie damals, am Silvestertag 2019. Dem Tag der Apokalypse. "Es war wie im Film", rekapituliert sie den Moment, als sich ihr Leben für immer veränderte.

Es waren die folgenschwersten Waldbrände der australischen Geschichte. Gigantische Flammenfelder fraßen sich an der Ostküste des Kontinents entlang. Fernsehzuschauer rund um den Globus waren von den Bildern schockiert: Menschen auf der Flucht, nur das Nötigste im Gepäck. Ein Flammeninferno drohte auch den Ort Lake Conjola zu schlucken – während Elaine in ihrem Wohnzimmer saß, Tee trank und ein Buch las.

Als sie losfuhr, trennten sie noch ein paar Minuten vom Feuer und vom sicheren Tod. "Es war dumm, so lange zu warten", rügt sie sich heute selbst. Im Rückspiegel flackerte das Bild ihres Hauses, als es in Flammen aufging. 40 Jahre Erinnerungen – "Fotos, Souvenirs von unseren Reisen". Retten konnte sie nur ihren Hund und ihr Auto. "Ich habe nichts mehr, was man anfassen kann. Ich habe nur noch die Erinnerungen in meinem Kopf."

Reise in die Vergangenheit

Ein gutes halbes Jahr nach dem Inferno kehrt Elaine Caswell an den Ort zurück, wo ihr Heim gestanden war. Der Platz ist kahl, der Brandschutt weggeräumt. Auf dem Nachbargrundstück steht das von den Feuern ausgeglühte Gerippe eines Autos. Ja, sie fühle sich am Boden zerstört, sagt sie. "Aber ich bin am Leben. Ich habe überlebt."

34 Menschen kamen bei den Feuern im vergangenen australischen Sommer um. Drei davon in Lake Conjola. Mindestens 445 weitere starben an den Spätfolgen von Rauchvergiftung und Verbrennungen. 3.340 Opfer mussten in Spitälern behandelt werden. 3.000 Häuser wurden zerstört. Eine Fläche rund eineinhalbmal so groß wie Österreich brannte ab. Mindestens eine Milliarde Tiere verbrannte.

Die Katastrophe war ein kollektives Trauma für die Nation. Jeden Sommer brennen in Australien tausende Hektar Land ab. Es ist ein normaler Prozess der Erneuerung für ein von Eukalyptusbäumen und Akazien dominiertes Ökosystem. Doch diese Feuersaison war anders.

Sie hatte im September begonnen statt wie üblich im Dezember, dem australischen Hochsommer. Klimawandel, sagen die Experten. Eine fatale Kombination von jahrelanger Dürre und einem Mangel an Niederschlägen im vorherigen Winter hatte die Natur austrocknen lassen. Laub und Äste wurden zu Zunder. Ob Blitzschlag, Fahrlässigkeit oder Brandstiftung: Ein Funke genügte, und Bäume verwandelten sich in gigantische Fackeln.

Lake Conjola, das ist heute eine Landschaft aus Stämmen verkohlter Bäume neben den Ruinen abgebrannter Häuser. Aus der schwarzen Rinde sprießen frische grüne Knospen, Blätter, Zweige. Elaine Caswell kann ihr Haus wieder aufbauen. Aber längst nicht alle Opfer waren so gut versichert wie sie. So leben viele Menschen bis heute in Zelten, in Wohnwagen, ohne Wasser und Strom und abhängig von Behörden und Hilfsorganisationen. Doch diese sind bürokratisch und langsam. Auch dem Roten Kreuz wird vorgeworfen, es würde Spendengelder in Millionenhöhe zurückhalten.

Hilfe in der Not

Dann, wenn gar niemand mehr hilft, kommt Pamela Date. Die pensionierte Bäckerin parkt in der Einfahrt eines einfachen Hauses, direkt neben einem ausgebrannten Waldstück. "Ich bringe diesen Leuten ein paar Dinge, um ihnen und ihren Enkelkindern das Leben etwas bequemer zu machen." Decken, ein paar Schuhe, Nahrungsmittel.

Heute ist sie bei einem älteren Ehepaar, das "kaum noch Kraft hat zu kämpfen", erzählt Pamela. Das Gesicht von Rob Barker gibt ihr recht. Es ist gezeichnet von Verzweiflung. Wie viele Opfer mussten auch Rob und seine Frau ihr Haus allein gegen die Flammen verteidigen. Denn die Feuerwehr war komplett überfordert. So schaffte Rob es zwar, sein Heim zu retten. Die meisten seiner Schweine aber verbrannten bei lebendigem Leib. "Ihre Schreie gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf", erzählt Pamela.

Mehrere betroffene Gemeinden verzeichneten zuletzt einen Anstieg der Selbstmordzahlen. So bringt Pamela Date weit mehr als Schuhe und Konserven. Sie bringt Verständnis, sie bringt Mitgefühl. Sie umarmt den alten Mann. Trotz Covid-19.

Elaine Caswell geht langsam über den Platz, wo einmal ihr Haus gestanden war. Die Behörden wollten, dass sie ihr neues Heim etwas versetzt baut, weiter weg vom See. "Die können mich mal", sagt sie kämpferisch. Denn ihr Mann Stuart sei im Geiste immer noch hier. Er starb vor zwei Jahren an Krebs. "Wir haben seine Asche im See verstreut. Direkt vor unserem Haus." (Urs Wälterlin aus Lake Conjola, 11.9.2020)