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PRO: Mehr Abenteuergeist

von Andreas Schnauder

Da hat Harald Mahrer ordentlich Öl ins Feuer gegossen. Ausgerechnet in Zeiten von Rekordarbeitslosigkeit will er den Druck auf Jobsuchende erhöhen, weiter entfernt angebotene Stellen zu besetzen. Doch so falsch sind weder Zeitpunkt noch Ziel des Vorstoßes. Der Fachkräftemangel macht – wenn überhaupt – nur Pause. Und die Besetzung der (raren) offenen Stellen wäre volkswirtschaftlich wichtig. Die Frage ist eher, wie man zu einer Lösung kommt.

Die kann nicht darin liegen, Arbeitslose zwangszuversetzen. Aber es darf schon etwas gestupst werden. Das gilt insbesondere bei der Übersiedlung an einen neuen Wohnort, an dem es auch den passenden Job gibt; längere Pendelzeiten sollten hingegen tabu sein. Es sind ja auch viele Beschäftigte bereit, mit Sack und Pack in andere Bundesländer zu ziehen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Natürlich gehört da auch eine gehörige Portion Abenteuergeist dazu, vor allem dann, wenn gleich die ganze Familie mitkommt. Dass kaum Arbeitslose die Koffer packen, hat wenig mit laschen Regeln, sondern viel mit Einstellungen zu tun. Es lebt sich halt bequemer im vertrauten Umfeld. Umgekehrt sind auch Arbeitgeber nicht immer darauf erpicht, einen "Zuagrasten" zu ködern. Man denke nur an die innerösterreichischen Sprachbarrieren.

Klar sollte sein: Ein Arbeitsloser, der einige Zeit einen Job in der Ferne annimmt, verbessert seine Chancen, danach in der gewohnten Heimat weiter voranzukommen. (Andreas Schnauder, 11.9.2020)

KONTRA: Wo bleiben Mahrers Ideen?

von András Szigetvari

Der Arbeitsmarkt durchläuft die schwerste Krise seit 1945. Die Chancen stehen gut, dass im Winter erneut mehr als 500.000 Menschen keinen Job haben werden. In einem solchen Moment ist es notwendig, Arbeitsmarktpolitik neu zu denken und kreative Rezepte zu entwickeln. Was aber macht Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer? Nichts davon. Er ruft lieber dazu auf, den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen. Derzeit müssen Jobsuchende bereit sein, zwei Stunden am Tag zu pendeln. Zu wenig, so Mahrer.

Das ist die falsche Debatte. Zunächst hat das AMS allein im vergangenen Jahr 145.000 Sperren beim Arbeitslosengeld verhängt, etwa weil Jobaufnahmen vereitelt wurden. Dass da nicht ordentlich Druck ausgeübt wird, ist eine Mär. Dass das aber zu mehr Arbeitsaufnahmen führt, ist eine unbewiesene Behauptung. Wer nicht bereit ist, stundenlang zum Arbeitsplatz zu fahren, wird Wege finden, das zu umgehen. Und welche Unternehmer wollen Angestellte, die ihren Job hassen?

Dabei wäre jetzt die Kammer mit echten Ideen gefordert: Die Regierung will eine Qualifizierungsoffensive starten. Hier muss sich die WKO einbringen, damit das Programm den Bedürfnissen ihrer Mitglieder entspricht. Oder: Viele Arbeitslose werden länger keinen Job finden. Wie können sie fit für den Jobmarkt bleiben? Braucht es mehr Förderungen, damit Firmen trotz Krise Lehrlinge aufnehmen? Mahrer muss für die Unternehmen im Land sprechen. Das ist ihm missglückt.(András Szigetvari, 11.9.2020)