Inhalte des ballesterer (ballesterer.at) #154 (September 2020) – Seit 11. September im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (kiosk.at/ballesterer)

Schwerpunkt: Arbeitsplatz Bundesliga

DER FUSSBALLBETRIEB

Die Angestellten in den Geschäftsstellen der Klubs halten den Profifußball am Laufen

PREKÄR BESCHÄFTIGT

Leiharbeiter in der Bundesliga

"WIR LEISTEN ÜBERZEUGUNGSARBEIT"

Ligavorstand Ebenbauer über eine Saison mit Überstunden

Außerdem im neuen ballesterer:

"ICH BIN NICHT DER BUDDY-TYP"

Irene Fuhrmann im Porträt

PERSONALUNION

Willi Ruttensteiners Doppelrolle in Israel

ABSCHIED IN ANDERLECHT

Das letzte Länderspiel der DDR

PANDEMIEMANAGER

Spielpläne unter Coronabedingungen

DÖBLINGER KONSOLIDIERUNG

Wie die Vienna wieder zur Ruhe gekommen ist

GRAZIE MAESTRO

Ein Nachruf auf Ennio Morricone

LEGENDE FÜR LEEDS

Marcelo Bielsa in der Premier League

EVENT EUROPACUP

Ein Anstoß zu den Final-Eight-Turnieren

THREE TIMES LUCKY

Triplefeiern und der Kater danach

DER KLUB DES BESTATTERS

Mirandes ist Europapokalsiegerbesieger

BALLESTERER SUPPORTER

Alexander Real im Porträt

EISERN IN SCHWARZ-WEISS

Bilder aus der Alten Försterei

ÖFFENTLICHES INTERESSE

Der FC Bayern und die Medien

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Deutschland, Slowenien und Tschechien

Sonntag, 6. Juli 1924, Wien stöhnt unter der Sommerhitze. Um 17 Uhr haben sich über 8.000 Zuschauer auf der Simmeringer Had zum Entscheidungsspiel im Cup zwischen dem Slovan und den Amateuren eingefunden. Der Slovan wurde 1902 als Sportovni Klub Slovan ve Vidni, als Verein der Tschechen in Wien, gegründet, er besteht nach Fusionen und Umbenennungen bis heute, die Kampfmannschaft spielt in der Wiener Stadtliga. Die Amateure werden ab 1926 FK Austria Wien heißen.

Geschäftsstreitigkeiten

Im Vorfeld kritisieren die Sportzeitungen die Spielansetzung: "Der späte Termin ist ein Fluch für das Cupfinale", schreibt das Illustrierte Sportblatt. Das Sport-Tagblatt findet, das Finale sollte besser wie in England Ende April oder Anfang Mai stattfinden: "Um diese Zeit sind weder Spieler noch Zuschauer der Spiele überdrüssig geworden, da lähmt noch keine sommerliche Gluthitze die Lust an der aktiven Beteiligung oder am bloßen Zuschauen." Die Liga, das muss man wissen, ist gerade erst zu Ende gespielt worden. Die ärgste Hetzjagd sei das zu dieser Zeit, meint das Tagblatt. "Da werden noch schnell die letzten Meisterschaftsspiele erledigt, über Hals und Kopf wird dem Schluss des Punktebewerbs zugesteuert."

Der Slovan ist bis zuletzt in Abstiegsgefahr. Am 3. Juli muss gegen die Hakoah ein Sieg her. In der Aufstellung gibt es eine große Überraschung. Stammtormann Franz Hlousek, der eine überragende Saison gespielt hat, fehlt. Zum Einsatz kommt Ersatzmann Roth, dessen Vorname sich heute nicht mehr ermitteln lässt. Slovan kann nach zweimaligem Rückstand das Spiel 4:2 gewinnen und bleibt damit erstklassig. Am selben Tag fixieren die Amateure mit einem 5:1 gegen den Letzten, den WAF, den Meistertitel.

Foto: "Illustriertes Sportblatt"

Slovan-Tormann Hlousek steht auch im Cupfinale nicht am Platz. Aus Ärger. Als er zu Saisonbeginn 1923 von den Amateuren zum Slovan gewechselt ist, sei ihm nach eigener Aussage ein lukrativer Zusatzverdienst versprochen worden. Ein damals durchaus übliches Vorgehen der Vereine. Am Mittwoch vor dem letzten Meisterschaftsspiel hätte ein Vertrag für einen Betrieb unterzeichnet werden sollen. Doch es kommt nicht dazu – und Hlousek weigert sich zu spielen. "Eine fesche Erpressungsgeschichte", schreibt das Sport-Tagblatt, zeigt aber durchaus Verständnis für den Spieler. "Der Mann kommt vom sogenannten Amateursportverein, hat dort mitangesehen, wie so mancher Spieler sein Geschäft bekam, warum soll nicht auch er?" Übrigens: In der folgenden Saison wird Hlousek ab der vierten Runde wieder für den Slovan spielen.

Die Amateure ziehen mit einem Torverhältnis von 36:2 aus fünf Spielen in das Cupfinale ein, im Semifinale haben sie den 1. Simmeringer SC 3:1 besiegt. Für den Slovan war der Weg mühsamer: Einem 5:0-Auftaktsieg gegen die unterklassige Viktoria V folgt ein 4:3 gegen den zweitklassigen Jedlersdorf SC. Im Achtelfinale trifft der Slovan erstmals auf einen Erstligisten, die Admira. Kurz vor Ende der regulären Spielzeit vergeben die Floridsdorfer beim Stand von 2:2 einen Elfmeter, erst in der Nachspielzeit erzielt Slovans Antonin Bulla das Siegestor. Es folgen ein 5:2 gegen den WAF und ein 4:2 gegen den WAC im Semifinale, bevor der Slovan zum ersten Mal im Cupfinale steht.

Drama ohne Punkt

Auf der Had setzt an diesem 6. Juli vor Spielbeginn strömender Regen ein, das Tagblatt notiert eine gedrückte und wenig erwartungsvolle Atmosphäre im Publikum. Es sei damit zu rechnen, dass der Slovan den Amateuren das Siegen nicht allzu schwer machen werde. "Aber es kam anders: Die nassen Kleider wurden trocken und die verregneten Gemüter heiterten sich auf." Zunächst geht der Favorit in der 39. Minute durch Viktor Hierländer in Führung, noch vor der Pause fällt aber der Ausgleich durch Bulla. Nach Wiederbeginn geht es Schlag auf Schlag: Stangentreffer durch Amateure-Stürmer Wilhelm Morokutti. Zwei Minuten später erzielt Rudolf Hanel das 2:1 für den Slovan. Wieder nur eine Minute später trifft erneut Bulla zum 3:1. Aber die Amateure geben sich nicht geschlagen, in der 60. Minute fällt durch Alfred Schaffer das 2:3, in der 63. der Ausgleich durch Gustav Wieser. Sie drängen auf die Entscheidung, doch das nächste Tor gehört dem Außenseiter: Josef Pojar trifft per Freistoß aus 25 Metern. 4:3 für Slovan.

Drei Minuten später – es ist die 75. Minute – gibt Schiedsrichter Heinrich Plhak einen Elfmeter für die Amateure. Doch der Elfmeterpunkt ist durch den Regen nicht mehr sichtbar. Hierländer legt sich den Ball viel zu nahe ans Tor, die Slovan-Spieler reklamieren und platzieren ihn fast an der Strafraumgrenze. Ein Zuschauer beendet den Streit, er hat ein Metermaß bei sich, mit dem der Elfmeterpunkt ermittelt wird. Hierländers Strafstoß allerdings landet in den Händen von Tormann Roth. Der Slovan verteidigt mit allen Mitteln den zum Greifen nahen Sensationssieg, aber in der 92. Minute gelingt Ferdinand Swatosch der Ausgleich. 4:4 – das Cornerverhältnis der regulären Spielzeit lautet 14:3 für die Amateure.

Boshafte Rufe

In der Verlängerung fallen weitere sechs Tore. Die Amateure ziehen in kurzer Zeit auf 7:4 davon, müssen aber nach der Verletzung von Gustav Wieser zu zehnt weiterspielen. Einwechslungen sind noch nicht vorgesehen. Beide Mannschaften sind am Ende ihrer Kräfte, das Spiel scheint entschieden. Aber die Slovan-Stürmer Bulla und Josef Ptacek sind an diesem Tag nicht in den Griff zu bekommen, beide treffen, und plötzlich steht es nur noch 7:6. Die Amateure ziehen sich nun fast komplett zurück, sie versuchen, den Sieg über die Runden zu bringen. Der Slovan greift wütend an, doch das letzte Tor ist ein Konter der Amateure zum Endstand von 8:6 – bis heute ist es das torreichste Cupfinale.

Wohl niemand, schreibt die Wiener Morgenzeitung, hätte dem Slovan zugetraut, "den Amateuren einen Kampf bis auf das Messer zu liefern". Die Dramaturgie sorgte für die Verteilung der Zuschauersympathien: "Das Publikum, das ganz auf der Seite Slovans stand, quittierte den Sieg der Amateure mit boshaften Rufen."

Der Slovan sollte nie wieder in einem Cupfinale stehen, die Amateure beziehungsweise die Wiener Austria ist heute Rekordsieger des Bewerbs. Und Antonin Bulla derjenige, der am häufigsten in Cupendspielen getroffen hat. Zu seinen drei Toren von 1924 kamen 1925 eines und 1926 zwei hinzu, jeweils für die Vienna. Cupsieger wurde er allerdings auch in diesen Spielen nicht. (Martin Krist, 11.9.2020)