"Wut" heißt das neue Buch des Bestsellerreporters Bob Woodward. Neun Stunden lang hat er dafür mit Donald Trump gesprochen.

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Sean Hannity ist Moderator, beschäftigt bei Fox News, dem Haussender der amerikanischen Konservativen. Auf Hannity, weiß Donald Trump, kann er sich jederzeit verlassen. Der Fernsehmann versteht sich als wohlwollender Berater, bisweilen auch als Stichwortgeber des Präsidenten. Kritisches Nachhaken ist nicht seine Sache, oft klingt er, als wäre er ein Regierungssprecher, der allem, was das Kabinett tut, den richtigen Dreh zu geben versucht. Gerät Trump in Erklärungsnot, lässt er sich bei Hannity zuschalten, um sich zu rechtfertigen. So auch am Mittwochabend, als er zur besten Sendezeit betonte, dass er ein Cheerleader für sein Land sei und daher keine Panik auslösen wolle. "Ich kann ja nicht hektisch herumspringen und den Leuten Angst einjagen."

Wieder einmal ist es ein Buch Bob Woodwards, des Reporters, der zusammen mit Carl Bernstein den Watergate-Skandal aufdeckte, das einen Präsidenten in Verlegenheit stürzt. In "Rage" ("Wut") porträtiert der Verfasser akribisch recherchierter Dokumentationen über das Leben hinter den Kulissen der Macht Trump als einen Scharlatan, der früh um die Gefahren des neuen Coronavirus wusste und dennoch Beruhigungspillen verteilte.

Betrug über Leben und Tod

Joe Biden, dem Rivalen im Duell ums Weiße Haus, liefern die Enthüllungen knapp zwei Monate vor der Wahl höchst willkommene Munition. Während der Amtsinhaber alles tut, um von Versäumnissen beim Umgang mit der Epidemie abzulenken, bleibt das fahrlässige Krisenmanagement für Biden das zentrale Thema. Trump habe das amerikanische Volk angelogen, kommentiert er, was in Auszügen vorab aus "Rage" veröffentlicht wurde. Er habe die Amerikaner betrogen, obwohl es um Leben oder Tod ging.

Die Zeitschiene beginnt mit Robert O’Brien, Trumps Sicherheitsberater, der Ende Jänner in kleiner Runde eindringlich warnte: "Dies ist die größte Bedrohung der nationalen Sicherheit, mit der Sie es in Ihrer Amtszeit zu tun haben." Am 7. Februar räumte der Präsident gegenüber Woodward ein, das Risiko sei deutlich höher, als er vor Publikum zugeben wolle. Man atme es mit der Luft ein, das Virus, das viel gefährlicher sei als selbst die schlimmste Grippe. "Das ist tödliches Zeug", sagte er, während er nach außen so tat, als wäre Sars-CoV-2 vergleichbar mit einem ganz normalen Influenza-Erreger, den es jedes Jahr gibt.

In den vier Wochen danach stimmte er seine Anhänger auf nicht weniger als fünf Kundgebungen auf den anstehenden Wahlkampf ein, jeweils in geschlossenen Räumen, großen Hallen, ohne auch nur den leisesten Warnhinweis zu geben. Das Virus werde wie durch ein Wunder verschwinden, orakelte er sowohl Anfang als auch noch Ende Februar, ehe er in der zweiten März-Woche den Schalter umlegte und endlich Klartext redete. Er habe die Gefahr heruntergespielt, gab er am 19. März bei einem weiteren Treffen mit Woodward zu, "und ich will sie noch immer herunterspielen, weil ich keine Panik auslösen möchte".

"Keiner hat es gewusst"

Am 31. März verteidigte er dann sein Krisenmanagement vor der Presse mit den Worten, dass man zunächst ja nicht wissen konnte, wie hochansteckend das Virus sei: "Es ist so unglaublich ansteckend, und keiner hat das gewusst."

Diesmal, das unterscheidet den Fall von anderen, kann sich Trump nicht darauf hinausreden, falsch wiedergegeben worden zu sein. Von Dezember 2019 bis Juli 2020 hat Woodward 18 Interviews mit ihm geführt, insgesamt neun Stunden lang, und alles mitgeschnitten.

So war denn auch, als die "Washington Post" und CNN in der Nacht auf Donnerstag auszugsweise ins Netz stellten, was der einstige Starreporter der Hauptstadtzeitung auf Band hatte, O-Ton Trump zu hören. Durch kein noch so raffiniertes Statement ließen sich die Tonkonserven entkräften, und dass Woodward ihn hinters Licht geführt hätte, konnte der Mann im Oval Office auch nicht behaupten.

Alles "on the record"

Die Absprache besagte, "on the record" zu reden, so, dass man zitieren und die Quelle benannt werden darf. Offensichtlich legte Trump selber gesteigerten Wert auf die Gespräche mit Woodward, nachdem er für ein früheres Buch des Bestseller-Autors ("Fear", erschienen im September vor zwei Jahren) noch sämtliche Interviews verweigert hatte – und sich hinterher, offenbar in seiner Eitelkeit gekränkt, darüber beschwerte. Die Verlockung sei zu groß gewesen, meint Karl Rove, einst gewiefter Wahl- und PR-Berater von Ex-Präsident George W. Bush. "Jeder Präsident macht irgendwann bei einem Woodward-Buch mit, um es danach zu bereuen."

Jedenfalls hat Bob Woodward, präzise, wie man es von ihm gewohnt ist, die Fehlleistung des Staatschefs in knappen Sätzen auf den Punkt gebracht. Ein Präsident der Vereinigten Staaten habe die Pflicht, vor Gefahren zu warnen, betont er im Interview mit "60 Minutes", einem renommierten TV-Nachrichtenmagazin, das in voller Länge erst am Sonntag ausgestrahlt wird, aber in Auszügen schon bekannt ist. "Die Leute werden es verstehen. Wenn sie aber das Gefühl haben, dass man ihnen nicht die Wahrheit sagt, dann begibt man sich auf den Pfad der Täuschung und der Vertuschung." (Frank Herrmann aus Washington, 10.9.2020)