In der "ZiB2" kritisierte Sigrid Maurer Aussagen von ÖVP-Politikern.

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Wien/Lesbos – Das vernichtende Feuer im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos sorgt für ernstzunehmende Dissonanzen in der Koalition. Die grüne Klubchefin Sigrid Maurer griff die ÖVP am Donnerstag in der "ZiB 2" frontal an, weil sie diese Aufnahme von betroffenen Flüchtlingen verhindere. Ihre Partei sei hier "durchaus kampfbereit".

Bei der Corona-Pressekonferenz hat die Regierungsspitze am Freitag einen Streit auf offener Bühne wegen der Aufnahme von Migranten aus dem abgebrannten griechischen Lager Moria jedoch vermieden. Sowohl Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) betonten, dass die unterschiedlichen Haltungen der Parteien hinlänglich bekannt seien. Gesprochen werde aber über weitere Schritte bei humanitären Hilfen. Die Hilfe vor Ort sei nämlich das, wo es gemeinsame Schnittstellen gebe, sagte Kurz. Zur Zusammenarbeit in der Regierung meinte der Kanzler, diese funktioniere "gut".

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Maurer attestierte Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), sich kaum noch von der FPÖ zu unterscheiden. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), der sich am Vortag in der "ZiB 2" über ein "Geschrei nach Aufteilung" bezüglich Flüchtlingen alteriert hatte, wurde von Maurer ebenfalls ins Visier genommen. Sie sei von dem Wording erschrocken gewesen und halte dieses für eines Außenministers unwürdig. Dass Schallenberg und Griechenland argumentieren, mit einer Verteilung der Moria-Flüchtlinge auf andere Staaten kämen nur neue Asylwerber nach, nannte sie zynisch und "eine bequeme Ausrede, um nicht helfen zu müssen".

Als Hintergrund vermutet die grüne Klubchefin den Wien-Wahlkampf der ÖVP. Daher beiße ihre Partei in der Regierung "leider auf Granit". Doch der Druck auf die ÖVP werde noch steigen. Auch auf europäischer Ebene bewege sich sehr viel, verwies sie auf die Entscheidung der Niederlande, entgegen ersten Ankündigungen doch Flüchtlinge aus Lesbos anzunehmen. Wie viele Personen aufgenommen werden sollten, sagte Maurer nicht. Derzeit sei nicht die Frage, wie viele, sondern ob Österreich überhaupt bereit sei, Menschen in Not zu helfen.

Am Donnerstag hatte Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler bereits auf die Aussagen Schallenbergs reagiert. Er wünschte sich im STANDARD "weniger Zynismus" in der Debatte über die Flüchtlinge in Moria.

Grüne Abgeordnete: Situation noch viel schlimmer als gedacht

"Die Situation ist noch viel verheerender, als ich mir das gedacht hätte", beschreibt die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, ihren Besuch auf der Insel Lesbos. Derzeit gebe es überhaupt keine Versorgung für die knapp 13.000 obdachlos gewordenen Migranten.

"Es gibt keine offizielle Hilfe", kritisierte Ernst-Dziedzic. Polizisten würden auch Hilfsorganisationen den Zugang zu einem Großteil der Menschen versperren. Seit drei Tagen leben diese auf der Straße zwischen Moria und der Insel-Hauptstadt Mytilini, auf Plastiksackerln und selbstgebauten Behausungen, schilderte die Politikerin am Freitag im Gespräch mit der APA. "Die Menschen haben kein Essen und kein Trinken, sie verdursten hier." Sie sei "empört und entsetzt".

Selbst wenn die Migranten mit ihrem eigenen Geld Wasser oder Lebensmittel bei einer nahegelegenen Tankstelle kaufen wollen würde, "sie werden nicht reingelassen, die Tankstelle wird von der Polizei bewacht und Flüchtlinge dürfen nicht rein", erzählte Ernst-Dziedzic. Der örtliche Supermarkt sei sowieso bereits geschlossen.

Mikl-Leitner: Verteilung löst Problem nicht

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat ablehnend auf eine Umverteilung der Migranten in EU-Staaten reagiert. "Griechenland ist ein sicheres EU-Land und sagt selbst, dass durch eine Verteilung das Problem nicht gelöst werden kann", erklärte sie am Freitag in Wiener Neustadt.

"Was Griechenland braucht, ist finanzielle Unterstützung für eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge", fuhr die Politikerin fort. Das Mittelmeerland bekomme "Hunderte Millionen Euro jährlich von der EU". Auch Österreich habe finanzielle Unterstützung im Ausmaß von zwei Millionen Euro angeboten, so Mikl-Leitner. Die Frage, ob Niederösterreich oder Österreich Migranten aus Moria aufnehmen soll, ließ sie unbeantwortet.

Initiative "Courage" bietet Plätze zur Aufnahme in Österreich

In Österreich hat sich die Initiative "Courage – Mut zur Menschlichkeit" gebildet. Ziel sei es, Menschen zu retten und erfolgreich zu integrieren, sagte Mit-Initiatorin Katharina Stemberger am Freitag in einer Pressekonferenz. 144 sichere Plätze – analog zur Telefonnummer des Rettungsnotrufs – sollen zunächst geschaffen werden.

"Liebe Bundesregierung, lasst uns Menschen retten, mehr wollen wir nicht", so der Appell Stembergers. Als Unterstützer fanden sich am Podium Ex-ÖVP-Mandatar und Flüchtlingskoordinator Ferdinand Maier, Marcus Bachmann von "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) und Migrationsforscherin Judith Kohlenberger ein. Unterstützer sind aber etwa auch Sänger Willi Resetaris oder die Schauspieler Cornelius Obonya, Klaus Maria Brandauer und Hilde Dalik.

Das konkrete Angebot an die Regierung: In Kooperation mit Hilfsorganisationen, Religionsgemeinschaften, Gemeinden und Städten will man nachhaltig sichere Plätze für Flüchtlinge schaffen. In ein bis zwei Wochen soll dann eine "Landkarte der sicheren Plätze" fertig sein, die unter www.courage.jetzt abrufbar sein wird. (APA, red, 11.9.2020)