Wien – Der Prozessort ist an Dramatik kaum zu überbieten: Wegen der Pandemie samt gebotenem Abstand findet am Freitag die seit einem Jahr ausständige Fortsetzung im neu aufzurollenden Verfahren "Bierwirt gegen Maurer" im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts statt. Also dort, wo sich normalerweise Beschuldigte in Großcausen – darunter auch ehemalige Staatsspitzen – verantworten müssen. Doch weder die Ehrfurcht gebietenden Marmorsäulen und Büsten noch all das dunkle Massivholz vermögen das Niveau des Prozesses auch an diesem Tag zu heben.

Muss weiterhin auf ein Urteil warten: Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer.
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Angeklagt ist Sigrid Maurer, Klubchefin der Grünen, wegen übler Nachrede, weil sie im Frühsommer 2018 über soziale Netzwerke die Identität eines Bierhändlers im achten Bezirk preisgeben hat, von dessen Account der Politikerin, damals ohne Mandat, äußerst obszöne Privatnachrichten über Facebook geschickt wurden.

Der Ladenbesitzer und Kläger, diesmal in blütenweißem Hemd, will diese Botschaften nicht abgesetzt haben, Gäste hätten Zugang zu seinem Computer gehabt. Sein Anwalt Adrian Hollaender will gleich zu Beginn auch verhandelt wissen, dass Maurer in einer Nachricht gegenüber einem Dritten seinen Mandanten als "Arschloch" tituliert hat. Deren Anwältin Maria Windhager weist das als "jedenfalls verjährt" zurück.

Magen-Darm-Probleme

Nach der "Arschloch"-Debatte, das Wort fällt im Schwurgerichtssaal ein halbes dutzend Mal, ruft Richter Hartwig Handsur fünf Zeugen auf: Zwei erscheinen erst gar nicht. Einer davon, der Vorbesitzer des Lokals und Webadministrator der Bierladen-Homepage, hat sich am Morgen per Mail wegen einer "Magen-Darm-Erkrankung" entschuldigen lassen. Allerdings traf ihn die Sicherheitswache, die das überprüfen sollte, nicht zu Hause an. Der Richter verhängt für die beiden Abwesenden Ordnungsstrafen in der Höhe von 200 Euro.

Die Aussagen der drei anderen Zeugen, ehemalige Gäste des Bierlokals, sind derart unergiebig, dass ihre Befragung nur ein paar Minuten lang dauert. Bloß einer kann sich daran erinnern, dass der Computer des Bierwirts, von dem die Nachrichten an Maurer offenbar versendet worden sind, zwischen all dem Bier stand, Besucher habe er an dem Gerät aber nicht gesehen. Die anderen beiden Auskunftspersonen können sich praktisch an gar nichts erinnern – weder an den PC noch daran, ob dort persönliche Musikwünsche eingegeben werden durften.

Während der wegen Corona nur spärlich besetzte Gerichtssaal schon auf ein rasches Urteil hofft, bittet der Richter den Bierhändler noch einmal zur Aussage – doch der kramt plötzlich einen Zettel hervor, den er schon im heurigen Juli in seiner Geschäftspost gefunden haben will. Auf diesem gesteht ein gewisser "Willi" ein, dass er nicht wusste, dass der Fall "solche Wellen schlägt", er habe die Botschaften versandt.

Der Bierwirt meint, dass "Willi", ein Gast und Freund, dessen Nachnamen er weder buchstabieren noch überhaupt nennen kann, bei der Aktion "b'soffen" war, wahrscheinlich habe "sie ihm g'fallen, steht auf sie". Gemeint ist Maurer. Nachsatz Bierwirt: "Ich hab' ihn schon gefragt, ob er dumm ist."

Ruhe erbeten!

Der Richter bohrt nach: "Der Vorfall" sei zwei Jahre her, warum erst jetzt der Zettel? Und hier stehe nun, "waren alle angetrunken", wer damit gemeint sei? Wieder kann der Bierwirt keine präzisen Angaben machen. Maurers Anwältin Windhager fordert: "Jetzt ist Schluss mit der Märchenstunde!" Wo der Bierwirt den Zettel ohne Kuvert genau gefunden habe? Darauf wird der Kläger derart laut und ungehalten, dass der Richter ihn zur Disziplin ruft: "Ruhe jetzt!"

Doch angesichts des neuen Beweismittels bleibt Handsur nichts anderes übrig, als die Causa, die die Justiz mittlerweile seit mehr als zwei Jahren beschäftigt, wieder zu vertagen. Binnen einer Woche hat der Kläger nun "Willis" korrekten Namen sowie eine ladungsfähige Adresse herbeizuschaffen. Maurer selbst zeigte sich zu alledem nur mehr "fassungslos". (Nina Weißensteiner, 11.9.2020)