"Man muss die PS, die man unter der Motorhaube hat, erst ins Ziel bringen."

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Der US-Amerikaner Jesse Marsch ist problemlos in die großen Fußstapfen seines Vorgängers Marco Rose getreten. Er gewann mit Red Bull Salzburg Meisterschaft und Cup. Der Cheftrainer leugnet die Favoritenrolle nicht, zumal der Kader praktisch unverändert geblieben ist. Der Franzose Oumar Solet kam von Olympique Lyon, der Koreaner Hwang Hee-chan ging nach Leipzig. Die Salzburger starten am Sonntag beim Wolfsberger AC in die Saison.

STANDARD: Bei Ihren elf Trainerkollegen herrscht Einigkeit. Sie alle sagen, Red Bull Salzburg wird wieder Meister. Kann man schon gratulieren?

Marsch: Das gehört mit zum Spiel und hat letztlich nur bedingt mit der Realität zu tun. Man muss die PS, die man unter der Motorhaube hat, erst ins Ziel bringen. Fakt ist, dass wir selbst wohl am meisten von uns erwarten und hart dafür arbeiten, diesen Zielen gerecht zu werden.

STANDARD: Setzen Sie neue Reize, oder genügen die alten? In welchen Bereichen muss und kann sich Ihre Mannschaft verbessern?

Marsch: Sehr positiv ist, dass sich unsere Mannschaft im Vergleich zur vergangenen Saison kaum verändert hat. Wir haben lediglich einen Spieler abgegeben und einen neu dazubekommen. Das heißt, dass alle unseren Spielstil kennen und wissen, was zu tun ist. Aber klar ist, dass es in vielen Bereichen nach wie vor Dinge gibt, die wir noch besser machen können.

STANDARD: Corona hat die Welt und natürlich auch den Fußball ins Wanken gebracht. Nicht nur in Österreich bangen Vereine um die Existenz. Red Bull Salzburg ist diesbezüglich sorgenfrei. Empfinden Sie es als Luxus, hier arbeiten zu können?

Marsch: Natürlich ist es angenehm, wenn man sich darüber vielleicht etwas weniger Gedanken machen muss als manch anderer Klub. Aber auch wir können nicht mehr so agieren, wie wir es gern würden. Zudem ist es schon so, dass der FC Red Bull Salzburg vor etlichen Jahren einen Weg beschritten hat, der nicht nur sportlichen, sondern auch wirtschaftlichen Erfolg gebracht hat. Dafür wurde viel aufgewendet, und man hat das beinhart durchgezogen. Ein wesentlicher Teil dieser Möglichkeiten basiert auf harter, professioneller Arbeit, uns wurde nichts geschenkt.

STANDARD: Bleiben wir bei der Pandemie. Wie gehen Sie damit um? Ist bei einem Trainer die soziale Kompetenz in dieser Krise noch mehr gefragt?

Marsch: Ich fühle mich mit meiner Familie hier in Österreich sehr sicher, sicherer, als es vielleicht in unserer Heimat der Fall wäre. Und natürlich war es für das Betreuerteam vor allem in der Zeit, in der alle nur zu Hause trainieren konnten, sehr wichtig, sich mit den Spielern beschäftigen zu können. Wir haben viele junge Profis aus vielen Teilen der Welt, die nur eingeschränkt mit ihren Familien und Freunden in der Heimat in Kontakt treten konnten. Da war es wichtig, dass wir uns als Klub laufend und intensiv um die Jungs gekümmert haben.

STANDARD: Immerhin werden in dieser Saison trotz drastischer Beschränkungen Zuschauer zugelassen. Sofern die Corona-Ampel nicht auf Orange oder Rot schaltet. Erhält der Fußball seine Bedeutung zumindest teilweise zurück?

Marsch: Für mich hat der Fußball seine Bedeutung niemals verloren, das Interesse vieler Menschen daran war und ist weiterhin hoch. Aber natürlich ist es viel schöner, wenn Fans – und das möglichst viele – im Stadion dabei sind und uns pushen.

STANDARD: Hat Sie das Niveau der Geisterspiele überrascht? National wie international?

Marsch: Ungewöhnlich, aber nicht ganz überraschend war der Umstand, dass es so viele Auswärtssiege gab. Augenscheinlich ist es vielen Teams gelungen, die oft geforderte Mentalität und Persönlichkeit auf den Platz zu bringen. Denn nur so konnte man bestehen und Emotionen auf den Platz bringen, die sonst sehr oft über externe Faktoren beeinflusst werden. Das war interessant zu beobachten und ein wichtiger Lernprozess und hat mir vor allem bei unseren Spielern imponiert.

STANDARD: Schaut man sich das dichte Programm im Herbst an, kommen Zweifel auf. Ist der Stress den Fußballern psychisch und physisch zumutbar?

Marsch: In allen Bereichen des Lebens gibt es derzeit Adaptierungen und Neuerungen, auf die man sich eben einstellen muss. Warum sollte der Fußball da eine Ausnahme sein? Aber klar ist, dass die Belastung für die Spieler in den nächsten Monaten sehr hoch sein wird. Darauf müssen wir uns einstellen, das müssen wir auch von der Betreuerseite her berücksichtigen. Rotation wird dabei eine wichtige Rolle spielen.

STANDARD: Haben Sie einen Karriereplan?

Marsch: Ich bin schon sehr lange im Fußball und habe dabei eine Erfahrung gemacht: Es ist immens wichtig, im Moment zu leben. Was zählt, ist das kommende Training, der kommende Gegner, das kommende Spiel. Zu weit nach vorne zu denken macht überhaupt keinen Sinn. Wenn man so will, ist genau das mein Karriereplan.

STANDARD: Wie würden Sie Erfolg definieren?

Marsch: Erfolg ist für mich als Trainer, wenn meine Spieler bereit sind, alles füreinander beziehungsweise dafür zu tun, sich jeden Tag ein wenig weiter zu entwickeln. Die Siege stehen für mich nicht so sehr im Fokus wie dieser Umstand.

STANDARD: Ergänzen Sie bitte: Fußball ist für mich ...

Marsch: ... die Möglichkeit, einen wunderschönen Beruf ausüben zu können. (Christian Hackl, 12.9.2020)