Können solch kulinarische Schätze überhaupt in einer so unscheinbaren Gegend lagern, fragt man sich, sobald man die Halle der Firma Buratti – Der Italienspezialist endlich gefunden hat, inmitten des Gewerbegebiets von Münchendorf südlich von Wien, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rot-Kreuz-Logistikzentrum mitsamt seinen einsatzbereiten Katastrophenteams. Diese blieben aber neben ihren Einsatzfahrzeugen sitzen, als Integrationsministerin Susanne Raab letzte Woche Zustände wie in "Chinatown" und "Little Italy" als Bedrohungsszenarien für Wien skizzierte.

Bei "Chinatown" dachte die Ministerin vielleicht an Jack Nicholsons aufgeschlitzte Nase im gleichnamigen Film und weniger daran, dass viele Chinesen mittlerweile selbst im hintersten Kuhdorf die Rolle des Wirten, der zugesperrt hat, übernehmen und neben Reis auch Schnitzi und Pizza servieren. Und bei "Little Italy" dachte sie womöglich an Martin Scorsese, den berühmtesten Chronisten des berühmtesten Littly Italy, das in New York liegt und wo der Pate John Gotti in den 80er-Jahren seinen Hitmen die Mordaufträge ins Ohr flüsterte. Thoses were the days.

Eher nicht dachte die Ministerin an die elendslangen Diskussionen in Scorseses Mafia-Dramen, während derer die Mobster sich über Knoblauch, Tomatensaucen mit Fleischbällchen drin oder die Qualität von Weißbrot unterhalten. In diesen Gesprächen über Kulinarisches zeigt sich aber das Wesen der Italianità, der italienischen Identität, deutlich stärker als im sinnlosen Herumballern, und gegen gutes italienisches Essen wird am Ende auch die Ministerin nichts haben. Also, was gäbe es gegen Little Italy zu sagen?

Ein Ristretto, eine Pinsa mit etwas Pancetta, Mozzarella oder Buratta, zum Nachtisch cremig gefüllte Cannoli Siciliani – auch deshalb ein Glück, dass in Wien etliche hochqualifizierte Köche aus Italien arbeiten. Fabio Massimo Buratti ist der Lebensmittel-Dealer des Little Italy in Wien.
Foto: Christian Fischer

Eine Mitarbeiterin des Herrn Buratti muss lachen, als ich anrufe mit der Bitte um einen Termin. Ich will die Lieferketten italienischer Nahrungsmittel herauf in Richtung heimischer Italo-Gastronomie erfragen, und sie sagt zum Chef: "Da ruft jemand wegen Little Italy in New York an!" Und Fabio Massimo Buratti, Geschäftsführer der Firma in zweiter Generation, lacht dann ebenfalls sehr, als er mir in seinem Büro gleich einen Ristretto der Firma Caffè Mauro aus Reggio Calabria auftischt, mit deren Bohnen seine 13 Fahrer in acht Lkws mehr als 400 Restaurants in Wien und Umgebung ebenso beliefern wie mit zahlreichen anderen Schätzen, die er hier lagert.

Foto: Christian Fischer

Unter anderem, erzählt der Chef, sei das Mehl. Aber kein Mehl, wie wir es kennen, sondern Mehl aus den verschiedensten Regionen Italiens, wo man die Begriffe "glatt" oder "griffig", an denen wir uns orientieren, gar nicht kennen würde, dafür aber zahlreiche andere Unterscheidungen, die jeder Pizzaiolo (Pizzabäcker), der etwas auf sich hält, mit den Händen greifen könne. Mittlerweile, sagt Buratti, würden in der heimischen Italo-Gastronomie so viele hochqualifizierte "Burschen" aus unserem südlichen Nachbarland arbeiten ("Mädchen" gebe es schlicht sehr wenige), dass die Nachfrage nach hochqualitativen Lebensmitteln aus ihren jeweiligen Herkunftsregionen stark gestiegen sei. Entsprechend oft würde er nun selbst Gespräche führen wie die Mafia-Paten in Scorseses Filmen: "Dieses Mehl neulich, das war irgendwie anders als jenes, das du mir zuvor geliefert hast", hört er manchmal – oder: "Kannst du mir nicht …?"

La bella pinsa

Kann er natürlich! Und ebenso lange wie über Mehl kann er sich mit Köchen oder Lieferanten über die Qualität von Mozzarella unterhalten, der in der richtigen Dosierung auf jede gute Pizza gehören. "Hier haben wir", zeigt er mir eine Tasse mit 50 Gramm Bocconcini (kleinen Mozzarella-Bällchen), "eine Mozzarella, die am Montagnachmittag in Neapel produziert wurde und heute, 36 Stunden später, schon hier ist." Das Produkt heißt Fior di Latte (Blume der Milch), und die Blume, erklärt er, werde mittlerweile von den Pizzaioli immer häufiger "scomposto" verwendet, also "umgedreht" auf Pizzen, deren Grundlage nicht rote Tomatensauce ist, sondern eben weißer Mozzarella oder auch Provola.

Der Verkauf des Frischkäses Burrata sei in den letzten Jahren geradezu explodiert, sagt Buratti. Er führt mich zu frittierten Teigrollen mit cremigen Füllungen (Cannolo Siciliano) und zu "Divine Paste", handgefertigten "göttlichen" Teigtascherln. Diese seien "ein Produkt, das man selbst nicht besser machen kann: Wir haben darin Spezial-Stracchino (ein Weichkäse), wir haben darin Trüffel!", schwärmt er. Und im Teig selbst würden acht Eier pro Kilogramm verarbeitet werden.

Foto: Christian Fischer

Buratti zeigt uns den Guanciale, den fetten Speck aus Schweinebäckchen, der für Carbonara verwendet wird, und Pancetta, welche die Spaghetti all’Amatriciana zum Genuss machten, den Bottarga (Thunfisch-Rogen), der auf Nudeln gerieben wird und, und, und. Weil Buratti zu den großen Calamari-Importeuren des Landes zählt, hat er ein weiteres Tiefkühllager in Deutschland und zieht von dort immer nur "ein, zwei Palättchen pro Tag ab".

Als Trend für spätestens die nächste Saison hat Buratti die Pinsa ausgemacht, die römische Variante der Pizza, die dort eckig serviert wird, die es aber natürlich auch als tiefgekühlte, runde Flade gibt. Und nicht nur wegen ihr sieht er die Zukunft der italienischen Küche rosig. Auch während der Corona-Krise habe er zahlreiche Lokale beliefert. Eine seiner Lieblingspizzen, als Dessert, ist übrigens eine mit Nutella, Mascarpone und Staubzucker drauf.

Vielleicht würde Ministerin Raab sich weniger vor "Little Italy" fürchten, wenn man ihr eine solche servieren könnte. (Manfred Rebhandl, 12.9.2020)