Wien – Schweinefleisch wird im Supermarkt oft und gern um drei Euro das Kilo verhökert. Joghurt im hippen Outfit, angereichert mit probiotischen Kulturen, kostet als Liter ein Vielfaches. Veganes Essen erzielt in den Regalen der Handelsketten Spitzenpreise. Auch für Bio legen Konsumenten meist kräftig ab. Bei Produkten des täglichen Bedarfs jagt jedoch eine Aktion die andere.

Einkaufen im Preisdschungel: Biolabels gelten als Cashcow, Fleisch und Bier als Frequenzbringer.
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Die Preispolitik des Handels zählt zu den intimsten Geheimnissen der Wirtschaft. Kaum einer hat Einblick in die Kostenkalkulation entlang der komplexen Wertschöpfungsketten.

Doch der Druck zur Transparenz wächst. Viele Kunden fordern Kostenwahrheit ein. Vor allem jene, die bereit sind, für Klimaschutz, bessere Arbeitsbedingungen und höheres Tierwohl mehr zu bezahlen.

Eine aktuelle Studie des Beraters Kearney versucht, Licht in die Debatte zu bringen. Ihr zufolge kosten nachhaltige Produkte durchschnittlich um 75 bis 85 Prozent mehr als herkömmliche. Tatsächlich aber seien die Mehrkosten für Nachhaltigkeit weitaus geringer: Sie fielen vorwiegend am Anfang der Wertschöpfungskette der Produktion an. Und sie bedingten Aufschläge beim Endpreis von oft nur zehn Prozent.

Schmieröl für den Umsatz

Sind aus dieser Logik heraus Biolebensmittel zu teuer? Holen sich Industrie und Händler hier sattes Körberlgeld? Fest steht: Preise basieren auf Mischkalkulation. Produkte wie Fleisch und Bier sind Frequenzbringer, das sogenannte Schmieröl für Umsätze. Sie werden gern zu Dumpingpreisen angeboten. Um diese zu finanzieren, legt der Handel mitunter selbst was drauf. Biolabels und Veganes, Tierfutter und Kosmetik hingegen zählen zu den Cashcows. Ihre Kunden sind meist kaufkräftig und aus ideologischen Gründen bereit, nicht auf jeden Euro zu achten.

Von Liebhaberpreisen ist in der Branche die Rede. Verwerflich sind sie aus kaufmännischer Sicht nicht. Denn Ziel ist es, die gesamten Fixkosten hereinzuspielen. Nachfrage bestimmt dabei das Angebot. Sehnsucht nach höheren Standards, worin auch immer diese begründet liegen, beflügelt den Preis. Wobei ein Teil der Mehrkosten seine Berechtigung hat. Produktion von Bio etwa geht hart ins Geld. Vor allem bei Fleisch lassen aufwendige Tierhaltung und teure Futtermittel die Preise in der Produktion explodieren. Auch Zertifizierung mitsamt Kontrollen, besondere Verpackung und kleine Chargen wiegen finanziell schwer.

Grenzen der Ethik

Die Grenzen der Ethik sprengt es, wird Kunden vorgegaukelt, ein Produkt sei nichts wert. Werden Preise unverschämt hoch, sind die Grenzen der Konsumlust erreicht. Kunden präsentieren die Rechnung und wechseln zur Konkurrenz.

Österreichs Supermärkte selbst sehen sich in einer Zwickmühle. Geben sie es billig, beschweren sich die Landwirte. Steigen die Preise, sind Konsumentenschützer höchst alarmiert. Ein Politikum ist beides.

Den Ruf nach echter Kostenwahrheit halten Experten jedoch für vergeblich. Rohstoffe unterliegen stark schwankenden Preisen. Fusionen und Onlinehandel lösen eine stete Spirale nach unten aus. Jedes Land hat, bedingt durch wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, eigene Kostenstrukturen.

Freie Hand haben Händler bei ihrem Einkauf von Markenwaren nur bedingt. Verträge mit internationalen Industrieriesen verbieten es ihnen oft, gleiche Produkte günstiger aus dem Ausland zu importieren.

Komplexe Folgekosten

Wer sich wann wo wie viel vom Verkaufspreis abschneidet, verliert sich letztlich im Dschungel der weltweiten Warenströme. Eingerechnet in die wahren Preise gehören zudem auch die Folgekosten für Klima und Umwelt. Sie werden in der Regel auf die Allgemeinheit, die Steuerzahler, übergewälzt – und sie sind bei konventionellen Produkten erheblich höher als bei biologischen.

Seit kurzem bildet diese Kosten eine Penny-Filiale in Berlin in Kooperation mit der Uni Augsburg für acht konventionelle und ökologische Produkte ab. Die Hoffnung des Eigentümers Rewe dürfte es sein, ruinöse Rabattschlachten damit etwas hintanzuhalten. Schule machen wird doppelte Preisauszeichnung in den Supermärkten aufgrund der hohen Komplexität wohl nur bedingt.

Knackige Cornflakes-Preise

Für den Kearney-Partner Carsten Gerhardt klafft die Differenz zwischen den echten Produktionskosten und den Preisen im Regal jedenfalls immer weiter auseinander. Der Experte für Nachhaltigkeit skizziert die Kluft im Gespräch mit dem STANDARD anhand von Cornflakes. Das Kilo komme auf rund acht Euro. Das sei das 40-Fache des Werts der Rohstoffe Mais, Zucker und Fett. Händler holten sich dabei nur einen kleinen Teil der Marge. Das Gros fließe an Markeninhaber, die damit den Aufbau und die Werbung ihrer Labels finanzierten.

Vor allem die Vermarktung frisst aus Gerhardts Sicht viel Kapital. In Summe zwickten sich zu viele in der Wertschöpfungskette Marge ab, bis hin zu Zwischenhändlern, die auf steigende Preise spekulieren. "Am Ende wird es gehörig teuer."

Finanziell am schlechtesten steigen dabei jene aus, die den größten Anteil für mehr Nachhaltigkeit leisten, resümiert er. Das betreffe etwa Landwirte, die Äpfel oder Kaffee anbauen, ebenso wie Arbeiter, die in Südostasien Textilien nähen.

Zwischen Leben und Sterben

"In Bangladesch machen 50 Cent mehr für ein Hemd den Unterschied zwischen Leben und Sterben aus." Dieses müsse aber deswegen nicht deutlich teurer im Regal sein.

Falsch läuft für Gerhardt auch vieles, wenn für nachhaltig produzierten Kaffee mit zehn Euro doppelt so viel für das Kilo kassiert werde wie für konventionellen – nur 50 Cent davon aber an Bauern fließen.

Die kräftigsten Aufschläge ortet seine Studie beim Geschäft mit Mode, Schönheit und Gesundheit. Die geringsten Mehrkosten finden sich bei Babynahrung und Energie. Bei verarbeiteten Nahrungsmitteln wie Paradeisern wiederum zahlen Konsumenten für Bioqualität im Vergleich zu konventionellem Gemüse erheblich mehr, als wenn sie zu frischen Biotomaten greifen.

Handel und Industrie stehen sich bei der Vermarktung von Nachhaltigkeit selbst im Weg, ist Gerhardt überzeugt. Die Preisdifferenz müsse moderater sein, sonst erreichten diese nur ein Zehntel der Kunden. "Und ihre Produkte bleiben in der Nische gefangen." (Verena Kainrath, 14.9.2020)