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Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP, links) sieht Österreich am Beginn der zweiten Welle, Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne, rechts) erst knapp davor.

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Am Montag kehrt die Maske großflächig zurück.

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Die Corona-Ampel war nur eine Woche im Einsatz, bis sich die Corona-Kommission schon bei ihrer zweiten Sitzung am Donnerstag quasi selbst überdribbelte und trotz der Grün-Schaltung für fast ganz Österreich zusätzlich eine flächendeckende Mund-Nasen-Schutz-Pflicht in Innenräumen empfahl. Und die dritte Sitzung findet schon am Montag statt und nicht, wie eigentlich geplant, erst wieder am Donnerstagnachmittag, wie der erste Vorsitzende der Kommission, Ulrich Herzog, am Samstag im Ö1-Mittagsjournal sagte.

Was ist da los? Grün, also "geringes Risiko" für eine Covid-19-Infektion, und trotzdem müssen ab sofort alle wieder viel häufiger die Maske tragen? Warum die eilig einberufene Kommissionssitzung?

"Es eilt"

Einfache Antwort: "Weil es eilt", sagt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter vom Zentrum für Public Health der Med-Uni Wien im STANDARD-Gespräch: "Bei den Zahlen kann man nicht bis Donnerstag warten. Da muss man rasch reagieren." Die Kommission reagiere schlicht auf die "Dynamik einer Pandemie", sagt Hutter.

Ziel sei es, die Ausbreitung "unter Kontrolle zu bringen und mit österreichweiten Maßnahmen die Bevölkerung zu schützen", sagt am Sonntag auch Daniela Schmid, Sprecherin der Corona-Kommission. Wegen des Anstiegs der Neuinfektionen werde die epidemiologische Lage durch die Kommission neu eingeschätzt.

Auch Kommissionsleiter Herzog hatte als Grund die stark ansteigenden Infektionszahlen genannt und betont: "Grün heißt ja nicht, dass kein Risiko da ist."

Expedition ins Unbekannte

Das unterstreicht auch Hutter und betont, dass die wiedereingeführte, weitreichende Maskenpflicht – "wir hatten das ja schon alles" – nicht gegen die Ampel spreche, sondern eine Reaktion auf das Pandemiegeschehen sei: "Sie muss sich in einer prekären Situation bewähren. Das ist wie bei einer Expedition ins Unbekannte, wo man die Ausrüstung nachjustiert." Die Maskenpflicht sei schlicht notwendig, "weil die Situation nicht mehr so entspannt ist wie bei der Konstruktion der Ampel im Sommer – und das heißt, weil die Bevölkerung nicht mehr so bewusst agiert wie damals". Hutter wäre ohnehin dafür gewesen, die Maskenpflicht als selbstverständlichen Teil der Basisprävention von Anfang an beizubehalten: "Je einfacher und klarer die Regeln, desto mehr werden sie akzeptiert und befolgt."

Seitens der Regierung äußerte sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bereits Sonntagfrüh per schriftliche Stellungnahme mit einer drastischen Warnung: "Was wir gerade erleben, ist der Beginn der zweiten Welle. Die Ansteckungszahlen nehmen von Tag zu Tag zu." Kurz skizzierte die zunehmende Dynamik der Ansteckungen, die von rund 350 vor zwei Wochen auf 870 an diesem Samstag zugenommen haben, "besonders dramatisch" in Wien, wo die Hälfte aller Neuinfektionen in Österreich zu verzeichnen sei.

Hotspot Wien?

In der Hauptstadt sieht man sich nicht als Hotspot. Ja, 444 Neuinfektionen am Samstag – das sei viel, aber das Infektionsgeschehen verschärfe sich im ganzen Land, heißt es aus dem Büro des roten Gesundheitsstadtrats Peter Hacker. Trotz des Höchstwerts in realen Zahlen lag Wien bei der "Vortags-Inzidenz" – also dem Anstieg der positiv getesteten Personen auf 100.000 Einwohner – am Samstag auf Platz vier. Am Sonntag hatten acht Regionen eine höhere Steigung als Wien (+8,96). Auf Platz eins lag Wels mit einem Plus von 12,96 Fällen pro 100.000 Einwohner.

Zudem testet Wien am meisten. Im Schnitt werden täglich 4500 Befunde ausgestellt. Dass man nach dem Abstrich auf das Ergebnis zuletzt sehr lange warten musste, liege an der Verdoppelung der Tests und den steigenden Fallzahlen. 72 Stunden dauere es im Schnitt, manchmal länger. Man werde bei der Nummer 1450 und im Contact-Tracing aufstocken.

Harter Herbst

"Wir werden bald die Marke von 1000 Neuansteckungen pro Tag erreichen", erwartet Kanzler Kurz: "Ich bitte die Bevölkerung, dass sie alle Maßnahmen einhält, soziale Kontakte reduziert, den Mund-Nasen-Schutz trägt und überall so gut als möglich Abstand hält." Damit nach dem "harten Herbst und Winter" tatsächlich das versprochene Licht am Ende des Tunnels im Sommer 2021 Realität werde.

Die Maßnahmen werden schärfer – und damit kommt es wohl zu neuen Demos gegen die Corona-Regelungen. Aber wie umgehen mit der Bewegung, die auch viele Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme anzieht? Darüber diskutierten bei "STANDARD mitreden" Michel Reimon (Grüne), Dagmar Belakowitsch (FPÖ) und die Autorin Ingrid Brodnig.
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Allfällige Auffassungsunterschiede innerhalb der türkis-grünen Regierung über die Corona-Maßnahmen wies Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) in der ORF-Pressestunde zurück – wenngleich sich in Sachen Welle Differenzen zeigen. Anschober selbst nannte die Infektionszahlen von Samstag zwar "deutlich zu hoch", meinte aber auch: "Jetzt muss mit aller Kraft daran gearbeitet werden, dass daraus keine exponentielle Steigerung in Richtung einer zweiten Welle wird." Er verteidigte nicht nur die Ampel als Teil einer "völlig neuen Risikokultur", sondern auch die Verschärfung der Maßnahmen. Die nächsten Tage und Wochen seien "entscheidend".

Zurück ins Homeoffice

Sonntagnachmittag trat Kurz nach einem Treffen mit den Sozialpartnern dann noch vor die Kameras. Ein weiterer Aspekt der gegen das Virus helfen soll: das Homeoffice. Wenn die Möglichkeit besteht, von zu Hause aus zu arbeiten, solle diese genützt werden, sagte Kurz vor Journalisten. Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sprach das Problem an: Ansteckungen mit Corona erfolgten zwar primär im privaten Umfeld, bei Feiern und Events, würden aber teilweise in Betriebe eingeschleppt. Kogler sagte auch, dass das Homeoffice dazu beitragen könne, schärfere Maßnahmen zu vermeiden.

Viele offenen Fragen

Trotz der offensichtlichen Dringlichkeit der verstärkten Heimarbeit wurden weiterhin keine Lösungen für die Abgeltung der Mehrkosten der Arbeitnehmer präsentiert, wenn diese zu Hause arbeiten. Auch andere Fragen wie eine von ÖVP-Seite vorgeschlagene Flexibilisierung der Nachtruhezeiten blieben offen. Besonders eindringlich warnte Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer davor, die Schutzmaßnahmen nicht ausreichend zu befolgen. "Der Weg von der Hirnlosigkeit weniger zur Arbeitslosigkeit vieler ist ein kurzer", sagte Mahrer. Nachsatz: "Das Virus macht keinen Spätsommerurlaub."

Anschober bremst bei Wintertourismus

Klarere Worte gab es am Sonntag zu einem anderen Wirtschaftsthema. Anschober kündigte strenge Auflagen für den Wintertourismus an. Mund-Nasen-Schutz und Mindestabstand werden Gäste und Touristiker durch die Saison begleiten, Après-Ski in der bisherigen Form wird es nicht geben. Konkrete Maßnahmen nannte Anschober nicht, vieles hänge von der Situation vor Ort ab. Man sei hier kurz vor einer Einigung, nächste Woche würden Ergebnisse präsentiert. Die Rahmenbedingungen für den Wintertourismus würden jedenfalls "streng" sein. "Es kommt nur infrage, was verantwortbar ist", sagte Anschober.

Der verspielte Vorsprung

Das neue Corona-Maßnahmengesetz will der Gesundheitsminister am Montag den Klubobleuten präsentieren. Die von der Opposition geäußerte Kritik habe er verstanden und werde den Hauptausschuss des Parlaments dort einbinden, "wo es gravierende Eingriffe gibt".

Die Oppositionskritik hält nach wie vor an. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner warf der Regierung vor, "den Vorsprung, den wir noch im April hatten, längst verspielt" zu haben. Die Maskenpflicht sei "viel zu früh" gelockert worden. FPÖ und Neos wiederum warfen Anschober vor, "nichts im Griff" zu haben bzw. einen "Zickzackkurs" zu fahren. (Lisa Nimmervoll, Oona Kroisleitner, 13.9.2020)