Das Fremde als Freund und Feind: Die Künstlerin Lisl Ponger stellt in ihrer Fotoarbeit "There be Dragons" einen Seefahrer und einen Frontex-Polizisten gegenüber.
Foto: Lisl Ponger / Bildrecht Wien

Da schminkt sich ein Mann: Tupft helle Farbe auf Haut und Bart, setzt blaue Kontaktlinsen ein. Bruch. Plötzlich sind seine Augen wieder braun, Wimpern und Bart färbt er noch schwärzer. Es ist eine Maskerade mit Identitäten, die man in dem Video Reverse Privilege des Künstlers Alaa Alkurdi sieht. Zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung scheinen Welten zu liegen.

In der Ausstellung Spuren und Masken der Flucht in der Landesgalerie Niederösterreich in Krems wagt man sich an eine Debatte heran, die nicht dringlicher sein könnte – und geht dabei über bekannte Bilder hinaus. Wie bei Alkurdi werden in der mit Arbeiten von 40 Künstlern und Künstlerinnen bestückten Gruppenschau Kategorien wie Identität und Privileg mitgedacht, ohne dabei in plakative Schubladen zu fallen.

Mit ihrem beidseitig verwendbarem "Inländer/Ausländer"-Schild sorgt die russische Künstlerin Lena Lapschina gerne für Irritation in der Öffentlichkeit.
Foto: Lena Lapschina

Den Kuratoren Günther Oberhollenzer und Georg Traska ist ein kluges – wenn auch leicht zerfranstes – Konzept gelungen. Bewusst setzen sie den Rahmen ab 1945 bis heute an, blicken aber auch zurück, verwerfen den Drang auf Vollständigkeit und Chronologie (auf die übergeordneten Kategorien hätte man deshalb verzichten sollen) und zitieren diverse Perspektiven der Flucht.

Beißende Ironie mit Hund

Gleich zu Beginn wird klargestellt: "Die Flüchtlinge" als Gruppe gibt es so nicht. Jede Migration hat ihr eigenes Narrativ. In engem Dialog entstanden, mischen sich unter die Positionen von Kunstschaffenden mit Migrationshintergrund auch Arbeiten von in Österreich geborenen Künstlerinnen und Künstlern. Wobei Letztere in der Unterzahl sind – was auch gut so ist.

Könnten doch das Video der Syrerin Rania Mustafa Ali, das aus mit dem Handy gefilmten Flucht-Sequenzen besteht, oder der Werkzyklus von Ramesch Daha, der Routen vom Iran nach Österreich nachzeichnet, nicht expliziter sein. Bei anderen wird das Thema abstrahiert: so das geschnitzte Holzhäuschen der bulgarischen Künstlerin Olga Georgieva oder die käfigartigen Skulpturen des Tschechen Zbyněk Sekal.

Das Video von Rania Mustafa Ali ging 2017 viral. Darin dokumentiert die junge Syrerin ihre Flucht von Kobane nach Österreich.
The Guardian

Zwischen den sehr dicht angerichteten Werken stechen Deborah Sengls ertrinkende Hundefigur oder die Klangarbeit von Anna Jermolaewa hervor, die immer wieder "Essen! Essen! Jamjam! Jamjam!" ruft – eine Erinnerung an das Lager in Traiskirchen. Beißend ironisch werden hier schmerzhaft ehrliche Geschichten erzählt.

Vor allem die Gegenüberstellung von Flüchtlingsbildern der Nachkriegszeit und des Ungarn-Aufstands mit der Fotoserie von Florian Rainer, worin in Österreich gestrandete Menschen nach ihrer Ankunft 2015 in Decken gehüllt auf der Straße ausharren, macht frappierend klar, dass sich die Geschichte stets zu wiederholen droht. (Katharina Rustler, 14.9.2020)