Das abgebrannte Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos.

Foto: EPA/DIMITRIS TOSIDIS

Lesbos/Berlin – Zwar sind die Fronten in der deutschen Regierung nicht so verhärtet wie in Österreich, doch auch die große Koalition in Berlin hat noch keine Einigung über die Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge von den griechischen Inseln erzielt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) haben sich am Montag darauf verständigt, etwa 400 Familien mit Kindern in Deutschland aufzunehmen, deren Asylersuchen bereits positiv beschieden worden waren. Allerdings muss die SPD den Plänen von CDU/CSU, den rund 1.500 Migranten Schutz zu gewähren, noch zustimmen.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich geht die Verständigung von Merkel und Seehofer nicht weit genug. Die SPD strebe eine "substanzielle Verabredung" zur Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge und über Vororthilfe in Griechenland an. Er sei aber sehr zuversichtlich, dass die Gespräche in der Koalition nicht nur zu einer gemeinsamen Zahl, sondern auch einem gangbaren Weg führten. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte zuvor gefordert, Deutschland müsse zusätzlich zu den bereits gemachten Hilfsangeboten mehrere tausend Geflüchtete aus Griechenland aufnehmen.

Polizei nahm fünf mutmaßliche Brandstifter von Moria fest

Am Dienstag wurde bekannt, dass die griechische Polizei fünf Personen im Zusammenhang mit dem Brand im Flüchtlingslager Moria festgenommen hat. "Die Brandstifter sind festgenommen. Es sind junge Migranten. Ein weiterer wird noch gesucht", sagte er im Staatsradio (ERT). Aus Kreisen der Polizei hieß es, die fünf mutmaßlichen Brandstifter seien Afghanen, deren Asylanträge abgelehnt worden waren.

Das Camp von Moria auf der Ostägäis-Insel Lesbos war vor genau einer Woche bei mehreren zeitgleichen Bränden fast vollständig zerstört worden. Rund 13.000 Geflüchtete wurden dadurch obdachlos. Zuvor eskalierte die Situation dort, nachdem mehrere Asylwerber positiv auf das Coronavirus getestet worden waren.

Seehofer hatte am Freitag mitgeteilt, Deutschland werde 100 bis 150 von insgesamt 400 unbegleiteten Minderjährigen aufnehmen, die aus Griechenland in zehn europäische Länder gebracht werden sollen. Der Deutsche Presse-Agentur zufolge ist der Vorschlag von CDU/CSU, 1.500 weitere Migranten in Deutschlang aufzunehmen, mit der griechischen Regierung bereits besprochen worden.

Delegation soll entscheiden, wer Schutz benötigt

Das deutsche Innenministerium will eine Delegation nach Lesbos schicken, um zu schauen, wer am dringendsten Schutz benötigt. Ziel sei, bei der Auswahl "objektive Kriterien" anzuwenden, "damit keine unkontrollierbaren Folgewirkungen entstehen", hieß es aus dem Ministerium.

Die griechischen Behörden haben – abgesehen von den 400 unbegleiteten Minderjährigen – offiziell bisher nicht um die Aufnahme der nun obdachlos gewordenen Menschen in andere EU-Staaten angesucht. Vielmehr begann man auf Lesbos mit dem Aufbau eines Zeltlagers, in dem die Migranten erst einmal unterkommen sollen.

Allerdings forderte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis mit Blick auf die Lage europäische Solidarität ein. Europa brauche eine gemeinsame Migrations-, Asyl- und Rückführungspolitik. Das niedergebrannte Flüchtlingslager sei ein Relikt der Vergangenheit, es brauche eine neue Einrichtung mit europäischer Unterstützung, so Mitsotakis.

Viele Migranten zögern jedoch, ein Zelt in dem neuen Lager zu beziehen. Einige haben Angst, dort eingesperrt zu werden, andere hoffen auf eine Umsiedlung auf das griechische Festland oder in ein anderes EU-Land.

Kritik an Kurz

Eine Umsiedlung nach Österreich steht für Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) außer Frage. Sein Nein zur Aufnahme von Flüchtlingskindern stößt unter anderem im deutschen Bundeskanzleramt auf Ablehnung. Am Dienstag wies Kurz die Kritik Merkels an seiner Haltung zurück.

"Wir werden dem deutschen Weg hier nicht folgen", sagte Kurz bei einem Kasernenbesuch in Niederösterreich. "Ich gehe auch davon aus, dass sehr viele europäische Länder diesem Weg – Flüchtlinge in großer Zahl aus Griechenland aufnehmen – nicht folgen werden. Wir hier in Österreich haben in den letzten Jahren eine sehr, sehr hohe Zahl an Flüchtlingen aufgenommen." Österreich habe dadurch sehr große Herausforderungen im Integrationsbereich. Es sei wichtiger, "zunächst diejenigen zu integrieren, als ständig neue aufzunehmen", so der ÖVP-Obmann. (red, APA, 15.9.2020)