Das Setting stieß bei einigen anwesenden Journalisten auf Erstaunen, auch Martin Selmayr betonte mehrmals, man verhandle nicht, sondern tausche sich aus – "hier sind Medienvertreter anwesend".

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Wien/Brüssel – Nach Unstimmigkeiten mit der EU-Kommission bei der Verlängerung und Ausweitung des Fixkostenzuschusses hat Finanzminister und ÖVP-Wien-Spitzenkandidat Gernot Blümel zu einem Gespräch mit dem Vertreter der EU-Kommission in Wien, Martin Selmayr, geladen. Dieser argumentierte dabei am Dienstag mit einem rechtlich nicht richtigen Notifizierungsantrag Blümels. Heute sei der letzte Tag für einen Antrag.

"Wenn heute die Notifizierung so erfolgt, wie von Frau (Wirtschaftskommissarin Margrethe, Anm.) Vestager vergangenen Freitag angeregt, dann ist das morgen erledigt", sagte Selmayr. Ein entsprechender Antrag sei, "wenn sich drei intelligente Leute zusammensetzen, innerhalb einer halben Stunde" gemacht. Es sei Aufgabe von Finanzministerium und Kommission, "das heute Nachmittag noch hinzubekommen". Es gebe drei Lösungsmöglichkeiten, auch "wenn es am letzen Tag recht knapp" sei.

Unzulässiger Katastrophenvergleich

Der Vertreter der EU-Kommission zerpflückte den ursprünglichen Antrag Blümels regelrecht, was Blümel – und auch der ebenso anwesenden Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) – gar nicht passte. Die Notifizierung hätte "differenzierter" sein müssen und hätte nicht auf Vergleichbarkeit mit einer Naturkatastrophe aufbauen dürfen, wie es allerdings beim ersten Antrag in der Zeit des Lockdowns noch möglich war.

"Wir haben jetzt keinen Lockdown mehr", argumentierte Selmayr. Derzeit hätten die allermeisten Branchen wieder Umsätze. Die Grundlage für den Antrag müsse das Argument einer schweren Wirtschaftskrise sein: "Dann kann die Kommission sofort genehmigen. Es geht darum: Können wir rechtlich zuverlässig vorübergehend Beihilfen genehmigen?" Es sei besser, wenn man es vorher so schreibt, dass es richtig ist, sorgte Selmayr für Kopfschütteln bei Köstinger und Blümel.

"Hören Sie auf mit diesen Paragrafen"

"Tut mir leid, dass das jetzt der Kommission nicht mehr passt", wurde Blümel recht patzig. "Absurd" sei es, Hotels mit Miniumsätzen nicht dasselbe zahlen zu können wie etwa Kongressveranstaltern, die derzeit keine Umsätze haben. "Ich bitte Sie, hören Sie auf mit diesen Paragrafen; ich weiß schon, dass man auf Rechtliches achten muss", so Blümel. "Es geht um österreichisches, nicht europäisches Steuergeld, das eingesetzt werden soll." Immer gehe es darum, die geplanten Beihilfen zu verringern, mutmaßte der Finanzminister. "In dieser Situation sollten Sie dankbar sein, dass Länder ihren Unternehmen helfen können und wollen."

"Wir haben vollstes Verständnis dafür, dass Österreich seinen Unternehmen helfen will", entgegnete Selmayr und verlangte neuerlich einen rechtlich passenden Antrag. "Der Grundgedanke muss sein, dass wir zusammenkommen, wir müssen zusammenarbeiten."

Sacher auf Zuschuss angewiesen

Als einer von mehreren Vertretern der Tourismus- und Freizeitwirtschaftsbranche sprach Matthias Winkler von den Sacher-Hotels davon, dass der Umsatz heuer nur bei 25 Prozent des zuletzt erzielten Werst (100 Millionen Euro) liegen werde. Kommendes Jahr würden es "vielleicht 30 bis 35 Prozent" sein. Heute würden 105 Sacher-Mitarbeiter in Wien und 35 in Salzburg nicht mehr weiterbeschäftigt. Für den Rest bleibe Kurzarbeit. "Wir wissen nicht, ob wir sie überhaupt wie vorgesehen zu 30 Prozent beschäftigen können. Dramatischer kann eine Situation nicht sein", so Winkler. "Die Situation ist dramatisch, bleibt dramatisch, und Fixkostenzuschuss ist für uns notwendig und nicht nur eine Brücke, um über diesen Fluss mit reißendem Gegenwind zu kommen."

Der Busunternehmer Paul Blaguss sprach davon, dass die ganze Branche in Wien in einem Normaljahr 120.000 Busrundfahrten veranstalte. Sein Unternehmen mache normalerweise 50.000 – "heuer werden es nicht einmal 500 sein".

Susanne Baumann-Söllner vom Austria Center Vienna (ACV) erläuterte, bezogen auf alle bei Kongressen involvierten Firmen, dass die Vorlaufzeit für solche Veranstaltungen üblicherweise drei bis fünf Jahre betrage. Derzeit gebe es aber keine Anfragen für neue Kongresse, und man sehe, dass auch Verschiebungen von Kongressen im nächsten Jahr beginnen würden. "Man kann ja nicht einfach zudrehen und sagen, der Caterer kocht nicht mehr. Es ist wichtig, allen involvierten Unternehmen zu helfen, damit die über die schwierige Zeit kommen."

Regierung gegen Zuschussdeckel

"Die gesamte Tourismuswirtschaft ist von der Pandemie zum Teil existenzbedrohend betroffen", argumentierte Köstinger. "Die Prognosen sagen, dass es Monate, wenn nicht Jahre dauern wird, bis sich der Tourismus vollkommen erholt haben wird." Dazu kämen "sehr besorgniserregende" Infektionszahlen. "Wir wollen unserer Verantwortung nachkommen und bitten um ein Entgegenkommen der EU", appellierte Köstinger.

Blümel und einige Unternehmer stört auch eine von Selmayr angesprochene Deckelung des Fixkostenzuschusses bei 800.000 Euro. Selmayr sagte, für Unternehmen, die sich in einer Situation wie in einem Lockdown befänden, sei die Deckelung nicht vorgesehen. Man müsse es nur richtig beantragen. Selmayr gab auch allen Unternehmerargumenten recht, diese seien schlüssig, ihnen stehe Hilfe zu. "Es ist nicht so, dass die Kommission blockiert. Wir sind auf Ihrer Seite. Es muss nur ordentlich gearbeitet werden", sagte der EU-Vertreter.

"Haarsträubend" seien diese Argumente, sagte Köstinger zu "Martin", also Selmayr. "Wir erwarten uns von der EU-Kommission maximales Entgegenkommen auch für kleine Unternehmen, rasche und unbürokratische Hilfe", spielte sie auf Milliardenhilfen für Große an. "Wir haben das Paragrafenreiten satt."

Dicke Luft

Dass die Stimmung zwischen Blümel und Selmayr nicht die beste ist, zeigte sich mehrmals. Selmayr störte sich zwischendurch daran, dass er erst als Letzter an die Reihe kommen sollte. "Da habe ich meine Zweifel", sagte er im Gesprächsverlauf einmal auf Blümels Ausführung, wonach man sich "seit 5. August um eine Lösung bemüht". (APA, 15.9.2020)