Oskar Aszmann wurde mit dem erstmals vergebenen Forschungspreis der Christian-Doppler-Gesellschaft ausgezeichnet.

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Etwa 30.000 Menschen in Österreich tragen Prothesen. Jährlich werden etwa 2000 Amputationen durchgeführt, wobei nur in etwa 150 Fällen Teile der Hand und bei sehr wenigen Personen ein ganzer Arm amputiert werden muss, der Rest betrifft die unteren Extremitäten.

Manche Betroffene wünschen sich natürliche Rekonstruktionen, andere tragen ihre offensichtlich mechatronische Hand wie einen Schmuck. Egal, wofür sie sich entscheiden: Viele von ihnen landen bei Oskar Aszmann am Wiener AKH.

Bionische Prothesen sind sein Fachgebiet: Sieben Jahre lang leitete Aszmann ein spezialisiertes Labor der Christian-Doppler-Forschungsgesellschaft (CDG) und arbeitete mit dem Prothesen-Marktführer Ottobock zusammen. Diese Kooperation wird fortgeführt im klinischen Labor für Bionische Extremitätenrekonstruktion der Med-Uni Wien.

Patient bei Paralympics

Nun wurde Aszmann mit dem ersten CDG-Preis für Forschung und Innovation ausgezeichnet. Der Preis ist mit 40.000 Euro für anwendungsorientierte Grundlagenforschung dotiert. Die vergebende Forschungsgesellschaft ist ein gemeinnütziger Verein, der Wirtschafts- und Wissenschaftskooperationen fördert. Finanziert wird sie vom Wirtschaftsministerium und der Nationalstiftung für Forschung, Technologie und Entwicklung.

Aszmanns wohl bekanntester Patient ist der Oberösterreicher Patrick Mayrhofer. Auch er wurde mit Preisen ausgezeichnet: Bei den Paralympics 2018 gewann er in der Snowboard-Disziplin Banked Slalom die Silbermedaille. Zehn Jahre zuvor war er bei einem Arbeitsunfall in den Stromkreis geraten. Seine linke Hand konnte nicht gerettet werden und wurde durch eine bionische Hand ersetzt.

Muskelsignal messen

Doch wie läuft eine entsprechende Operation ab? "Man kann sich die einzelnen Nervenfasern wie Kabel in einem Schaltkasten vorstellen", sagt Aszmann. "Ein Elektriker weiß, wo der Strom in die Küche geleitet wird und wo ins Klo. Als Nervenchirurg hat man das anatomische Wissen, welche Nervenfasern in welchen Teil des amputierten Arms hineingegangen sind."

Die großen Nervenstränge werden in Muskeln eingebracht, die am Amputationsstumpf vorhanden sind. Diese Technik heißt Targeted Muscle Reinnervation (TMR), also "gezielte Wiederversorgung von Muskeln mit Nervenreizen". An ihrer Entwicklung war Aszmann wesentlich beteiligt und führte in Europa die erste derartige OP durch.

Nach einem solchen Eingriff dauert es etwa ein halbes Jahr, bis die Nervenfasern in ihren neuen Zielmuskel eingewachsen sind. Wenn die betroffene Person etwa daran denkt, eine Faust zu machen, bewegt sich dort ein Muskel. Das Muskelsignal lässt sich messen – verschiedene Muskelanspannungen sollen in der "gedankengesteuerten Prothese" für unterschiedliche Bewegungen sorgen.

Hier kommt künstliche Intelligenz ins Spiel. Denn: "Es ist gar nicht so einfach, aus der Signalflut ein 0-oder-1-Signal abzuleiten, mit dem eine Maschine, die Prothese, arbeiten kann. Somit braucht es eine Art Interpretationshilfe – einen Algorithmus –, um herauszufiltern, was der Patient tatsächlich will. Deswegen ist die Mustererkennung eine Art von künstlicher Intelligenz, die uns wesentlich zugutekommt." Durch Bewegungsmuster der Patienten lernt der Computer in der Prothese, wann welche Reaktion durchgeführt werden soll.

Sensible Reizleitung

Dafür ist eine gewisse Rechenleistung nötig, denn das Signal muss schnell verarbeitet werden. Auch bei der Forschung an sogenannter sensibler Reizleitung ist Zeit ein wichtiges Thema. Durch Sensoren an der Prothese sollen Wahrnehmungen an die Tragenden weitergeleitet werden.

"Reize kommen selbst in der Biologie mit einer gewissen Zeitverzögerung – etwa 30 Millisekunden – an", sagt Aszmann. "Bei Prothesen wären das eher 150 bis 300 Millisekunden. Ein Zeitversatz, der merkbar und irritierend ist." Bisherige Lösungen sind noch zu langsam und nicht kommerziell erhältlich. Es werde jedoch an neuen Konzepten gearbeitet, damit die Prothesen der Zukunft serienmäßig über Sinneswahrnehmungen verfügen können.

Dass künstliche Hände einmal die natürlichen Funktionen insgesamt übertrumpfen, hält Aszmann für unrealistisch: "Jeder Cyborg-Illusion zum Trotz: Das biologische System einer natürlichen Hand ist das Beste, was es gibt – alles andere ist ein billiger Ersatz. So eine Hand kann einen schweren Vorschlaghammer sehr präzise führen, aber auch ein kleines Kind zärtlich streicheln. Die Bandbreite an Fähigkeiten ist schier unglaublich."

Softe Fingerführung

Aszmann konnte mit zwei Kollegen einen der renommierten ERC-Synergy-Grants des Europäischen Forschungsrats einwerben. Die zehn Millionen Euro werden für die Entwicklung einer besonders intuitiven künstlichen Hand nach dem Prinzip der Soft Robotics aufgewendet. Grundlage ist eine weiche Handprothese, die der italienische Robotikspezialist Antonio Bicchi erfand: Seine "Soft Hand" passt sich wie eine biologische Hand an die Form von Objekten, die sie greift, an.

Die Fingerführung soll es ermöglichen, dass Gegenstände ohne viel Nachdenken und nur durch ein einziges Signal sicher umfasst werden. Das bietet sich vor allem für Personen mit einer beträchtlichen Querschnittslähmung etwa ab dem sechsten Halswirbel an: Hier können Patienten oft nur einen einzigen Muskel am Unterarm aktivieren. "Das kann mit unserem Modell ausreichen, um zum Beispiel eine Zahnbürste oder ein Glas zu greifen – eine immense Hilfe im Alltag", sagt Aszmann.

Besonders spannend ist für ihn die mögliche Anwendung bei Schlaganfallpatienten. Viele Personen haben durch den Hirnschaden nach einem Schlaganfall eine gelähmte Hand, die sie kaum mehr benutzen können. "Durch Nerventransfers und das Anpassen einer weiterentwickelten Soft Hand könnte diesen Menschen eine solide Handfunktion zurückgegeben werden, und damit ein kaputtgegangenes Stück Leiblichkeit. Das wird in Zukunft sicher ein großes Thema." (Julia Sica, 20.9.2020)