Auf halbmast: Eltern sollten dieses Jahr besonders sorgfältig abwägen und bei Krankheitssymptomen wie Fieber, Husten oder Durchfall die Kinder zu Hause betreuen.

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Auf Erkältungsviren kann man sich verlassen: Jedes Jahr beginnt pünktlich im Herbst die Zahl der Menschen, die an Infektionen erkranken, zu steigen. Vergangenes Jahr, also vor der Corona-Pandemie, registrierte das Diagnostische Influenzanetzwerk Österreich (Dinö) in der Kalenderwoche 40 50.000 Infektionserkrankungen pro Woche.

"Virale Erkrankungen im Kindesalter trainieren an sich das Immunsystem", sagt Reinhold Kerbl, Kinderarzt am Krankenhaus Leoben und Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Kinder-und Jugendheilkunde (ÖGKJ) und kann 20 unterschiedliche Erkältungsviren aufzählen, die bei Kindern Husten, Schnupfen und Fieber verursachen.

Wenig wahrscheinlich

Doch neueste Studien aus den vergangenen Monaten zeigen, dass von 1.000 hustenden Kindern nur ein Prozent positiv auf Sars-CoV-2 getestet wurde, "es ist also sehr wahrscheinlich, dass ein Kind mit Husten keine Corona-Infektion hat", so Kerbl. Trotzdem empfiehlt er, erkältete Kinder tendenziell eher nicht in den Kindergarten und in die Schule zu schicken, weil sich durch dieses tendenziell vorsichtige Verhalten das allgemeine Infektionsgeschehen in der gesamten Bevölkerung reduzieren lässt und "das in diesem Corona-Jahr allgemein vorteilhaft wäre".

Die gute Nachricht für Kinder in der Corona-Pandemie: Sars-CoV-2 ist für junge Menschen nicht gefährlich. Von 1,1 Millionen Kindern in Österreich zwischen null und 14 Jahren wurden bisher lediglich 2.100 positiv auf Sars-Cov-2 getestet. Nur 39 mussten stationär behandelt werden, sechs davon wegen einer überschießenden Immunreaktion auf der Intensivstation, ein Kind verstarb. "Allerdings zeigen die neuesten Studien, dass 23 Prozent aller positiv getesteten Kinder wegen Magen-Darm-Symptomen einen Arzt aufsuchten", sagt der Grazer Kinderarzt Volker Strenger, Leiter der Forschungseinheit für kindliche Infektionskrankheiten an der Med-Uni Graz, die Hauptsymptome sind wie auch bei Erwachsenen Husten, schwere Atmung und Fieber.

Keine Virenschleuder

"Auch die Vermutung, infizierte Kinder würden keine Symptome zeigen und trotzdem ansteckend sein, ist widerlegt," kann Strenger berichten. Das war ein Rückschluss, den die Forscher vom Influenza-Geschehen auf das Coronavirus übertragen wollten, eine Vermutung, die sich nicht bestätigt hat. So wie auch die Tatsache, dass sich in Schulen Cluster bilden und diese dann zu Drehscheiben der Infektion werden. "Die Zahl der positiv getesteten Kinder hat sich in den Sommermonaten verdreifacht, die Schulen waren geschlossen", sagt Strenger. Diese Erkenntnis, dass Kinder im Infektionsgeschehen keine tragende Rolle spielen, bestätigen auch die Beobachtungen aus Schweden. Dort waren die Volksschulen durchgehend geöffnet. Im Vergleich zu Finnland, wo diese geschlossen waren, sind die Sars-CoV-2-Infektionszahlen sehr ähnlich.

Corona-Infektionen finden noch immer eher im familiären Kontext statt. "Wenn Kinder, Eltern und Großeltern in einer Familie gesund sind, gibt es keinen Grund, sich nicht zu treffen", sagt Daniela Karall, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde. Bei Krankheitssymptomen sei die Situation anders, da sollten vor allem Enkel und Großeltern auf Abstand gehen, sagt auch Strenger und meint Treffen ohne "Abschnuddeln" und – noch besser – draußen an der frischen Luft. "Wir müssen Corona in seiner Bedeutung bei Kindern relativieren, weil wir sonst auch Kollateralschäden haben werden," sagt Kerbl. Was nicht passieren dürfe, sei, dass Eltern sich aus Angst vor einer Corona-Infektionen nicht mehr ins Spital wagen. Er selbst habe im vergangenen halben Jahr zweimal erlebt, dass Notfälle mit Verzögerung ins Krankenhaus gekommen sind.

Große Virenvielfalt

Wie jede Saison bereiten sich die Kinderärzte auf die Erkältungssymptome vor und rechnen mit dem verstärkten Auftreten von viralen und bakteriellen Infektionen aller Art. Häufig sind Mittelohrentzündungen, durch unterschiedliche Adenoviren ausgelöster Schnupfen. Parainfluenza-Viren und RS-Viren (respiratorisches Synzytialvirus) verursachen Kehlkopfentzündungen, die von anfallsartigem Husten (Krupphusten) begleitet sein können. Auch das Influenzavirus ist bei Kindern und Jugendlichen häufig, ebenso wie bakterielle Erkrankungen, etwa die Angina, die durch Streptokokken ausgelöst werden. "Es geht darum, plausible Erklärungen für Erkrankungen zu finden", sagt Kerbl und meint in Corona-Zeiten eine Art Ausschlussverfahren. Denn jede Infektionssaison sei immer wieder aufs Neue ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten.

Dass das neue Coronavirus für Kinder nicht gefährlich ist, ist insofern eine gute Nachricht und könnte zur Beruhigung von Eltern beitragen. Containment, also das Absondern von kranken Kindern, ist die einzige Möglichkeit, in das Infektionsgeschehen aktiv einzugreifen, sagt Kerbl. Die mittlere Inkubationszeit beim Coronavirus beträgt fünf bis sieben Tage, das ist die Zeitspanne zwischen Infektion und dem Auftreten der Symptome.

Ähnliche Zeitspannen zur Isolation gelten auch für andere Infektionserkrankungen. Wann Eltern ihre Kinder wieder in die öffentliche Betreuung schicken können? "Wenn sie einen Tag fieberfrei sind", sagt Karall. Diese alte Regel gilt in Corona-Zeiten weiter. Worauf Eltern in der Corona-Pandemie keinesfalls vergessen sollten, ist, ihre Kinder gemäß Impfplan gegen Kinderkrankheiten immunisieren zu lassen. So sind etwa Masern 30-mal ansteckender als das Coronavirus und auch in der Pandemie weiterhin eine Gefahr, deren Ansteckungsgefahr sich jedoch reduzieren lässt. (Karin Pollack, 16.9.2020)