Das Metall kracht immer wieder auf die Eisoberfläche. Immer wieder reißt jemand eine Spitzhacke in die Luft, um sie dann mit voller Wucht in den gefrorenen Boden unter den eigenen Füßen zu rammen. Wie viel Zeit bleibt noch, bis das Eis unter der brutalen Malträtierung nachgibt?

In der Herbstausstellung im Kunsthaus Wien widmen sich 21 Künstler und Künstlerinnen dem Thema der menschenverursachten Umweltzerstörung: ein Spagat zwischen der Schönheit unberührter Natur und den horrenden ökologischen Folgen unseres wachstumsorientierten Wirtschaftssystems. Künstlerische Fotografien und Videoarbeiten aus den vergangenen zehn Jahren halten den Ist-Zustand der aktuellen Situation fest.

In der ästhetisch inszenierten Fotoserie "Floodzone" von Anastasia Samoylova trifft die Luxus-Küstenmetropole Miami auf klimatisch bedingte Umweltkatastrophen.
Foto: Anastasia Samoylova

Der Ernst der Lage wird einem gleich zu Beginn bewusst. "The End" druckt Justin Brice Guariglia da auf Styropor, das mit reliefartigen Bildern von arktischem Eis aus Grönland hinterlegt ist. Gleich daneben dokumentiert Ursula Biemann filmisch, welchen dramatischen Einfluss der Abbau von fossilen Brennstoffen in westlichen Industrieländern auf den globalen Süden hat.

Das Thema taucht in der Schau immer wieder auf: verdörrte Seen in Tschad und Iran, Versteppung in China, Überschwemmung in Bangladesch, steigender Meeresspiegel in Ozeanien. Spätestens hier wird die Message klar: Wann haben wir endlich genug?

Beim Schmelzen zusehen

Mit dem Titel Nach uns die Sintflut bezieht sich die Schau auf ein Zitat, das dem ersten Band von Karl Marx’ Das Kapital entnommen ist. Bereits vor 150 Jahren kritisierte er die egoistisch-kapitalistische Ausbeutung der Umwelt – allen sichtbaren Folgen zum Trotz.

Dieser philosophische Ansatz, der eine spannende Klammer zwischen gesellschaftspolitischer Debatte und gezeigter Kunst sein könnte, verspricht mehr, als man dann zu sehen bekommt. Hier fehlt der konkrete Bezug in der Ausstellung, die großteils zu dokumentarisch geraten ist. Das, was man zu sehen bekommt, bildet eher ab, als zu hinterfragen. Zwar zeigen die Fotoserien erschreckende Katastrophenszenarien, sind aber zu erwartbar.

Auch die Idee der beiden Kuratorinnen Verena Kaspar-Eisert und Sophie Haslinger, das Element Wasser als Fokus zu destillieren und als roten Faden durch die Schau führen zu lassen, funktioniert leider nur bedingt.

Trailer zu "Nach uns die Sintflut"
kunsthauswien

Spätestens nach dem dritten – wenngleich inhaltlich spannenden – Projekt zu Gletscherzungen sowie Gletscherschmelze fragt man sich, ob das Thema nicht doch diversere Zugänge zugelassen hätte.

Bei Frank Thiel blickt man in ein Meer stechend blauer Eiszacken, bei Gabriele Rothemann ruht schwarz-weißes Treibeis in einer Vitrine, Michael Goldgruber inszeniert den zweitgrößten Gletscher Österreichs als fragil-surreale Fotoinstallation, Verena Dengler verarbeitet ihren Besuch am nördlichen Polarkreis in Aquarellen und analogen Expeditionsfotos, und in Anouk Kruithofs Video Ice Cry Baby brechen Eisbrocken in dramatischen Zeitlupenaufnahmen auseinander.

Stark ist die Ausstellung an den Stellen, wo nicht offensichtlich Klimawandel draufsteht. Beispielsweise in der Installation von Genoveva Kriechbaum, die den Bau des Fünf-Milliarden-Dollar-Investment-Projekts "The World" an der Küste Dubais fotografisch begleitet hat.

Oder die Serie Floodzone, in der Anastasia Samoylova das Touri-Paradies Miami mitsamt den sich dort einschleichenden klimatischen Veränderungen so subtil inszeniert, dass man sich dem Thema intensiver stellen muss. Stehendes Flutwasser, geknickte Palmen oder Moosbüschel, die sich aus Betonritzen quetschen, sind Boten des Anthropozäns.

Goldene Sneakers mit LED

Genau diese Andeutungen sind es, die bei der einzigen Objektarbeit Folly sogar ins Politische übergehen. Gummiartige Drucke von Luftaufnahmen der Erdoberfläche liegen auf einem Eisbrocken aus Plastik, dem seitlich dürre Prothesenbeine mit goldenen Sneakers und blinkenden LED-Sohlen entwachsen – das perfekte Sinnbild des Turbokapitalismus?

Was an Provokantem oder Politischem in der Schau fehlt, kann dafür mit dem Rahmenprogramm kompensiert werden. Da gibt es beispielsweise Lesungen zum Naturbegriff bei Marx oder "Future Talks" gemeinsam mit Mitgliedern von Fridays for Future. Als Haus setzt man hier ein wichtiges Zeichen: Mit dem Umweltschwerpunkt, dem sich das Kunsthaus ganz in Hundertwasser-Tradition verschrieben hat, traut man sich, sich dieser akuten Debatte zu stellen.

Übrigens: Nach 28 Minuten bricht die Person mit der Spitzhacke in dem Video von Nicole Six und Paul Petritsch tatsächlich ins Eis ein. Think about it! (Katharina Rustler, 16.9.2020)