Venus-Schnappschuss der Nasa-Raumsonde Mariner 10 aus dem Februar 1974. Die Nachbarin sollte sich wieder auf Besuch einstellen.

Foto: NASA/JPL-Caltech

Die Venus ist eine sonderliche Welt. Ein Tag dauert dort länger als ein Jahr: Bis die Venus ihre eigene Achse umrundet hat, sind am Nachbarplaneten Erde 243 Tage ins Land gezogen. Für eine Umrundung der Sonne braucht die Venus hingegen nur 225 Erdtage. Beeindruckend ist auch der Kohlenstoffdioxidgehalt ihrer Atmosphäre: 96,5 Prozent. Dementsprechend groß ist der Treibhausgaseffekt. An den endlosen Venustagen und -nächten herrschen Temperaturen über 400 Grad Celsius.

Das ist nur einer der vielen Gründe, warum die Venus lange kaum zu den aussichtsreichen Kandidaten für außerirdisches Leben gezählt wurde. Möglicherweise zu Unrecht, wie eine am Montag in Nature Astronomy veröffentlichte Studie nahelegt (DER STANDARD berichtete). Nachdem bekannt wurde, dass Wissenschafter um Jane Greaves von der Universität Cardiff das Molekül Monophosphan, auch Phosphin genannt, in der Venusatmosphäre nachweisen konnten, mehren sich die Spekulationen, ob wir bei der Suche nach außerirdischem Leben unseren inneren Nachbarplaneten zu Unrecht vernachlässigt haben.

Mögliche Biosignatur

Das giftige Phosphingas wird mit lebenden Organismen in Verbindung gebracht: Auf der Erde kommt es selten natürlich vor – nur einige Bakterien produzieren es. Die große Frage ist nun, ob auch auf der Venus biologische Prozesse dahinterstecken könnten, wofür es freilich keine Nachweise gibt. Es könnte auch geo- oder photochemische Phosphinquellen auf der Venus geben – welche, ist derzeit aber ebenfalls unklar. Mit anderen Worten: Die Entdeckung wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.

In der Fachwelt stößt die Studie auf großes Interesse. "Das ist eine erstaunliche, aufregende Publikation, die vielversprechende Möglichkeiten für zukünftige experimentelle Arbeiten eröffnet", sagt Tetyana Milojevic, stellvertretende Vorständin des Instituts für Biophysikalische Chemie an der Universität Wien und Leiterin der Weltraumbiologiegruppe. Es brauche nun neue Missionen, um Proben vor Ort zu nehmen.

Auf ins Labor

Bis dahin gebe es aber auch im irdischen Labor viel zu tun, so die Forscherin: "Die Venuswolken sind sehr sauer und alles andere als homogen, sie haben eine schichtenförmige Verteilung. Das könnte im Labor simuliert werden, um zu sehen, wie sich das Phosphingas unter diesen Bedingungen verhält. Man kann jetzt schon wertvolle Hinweise finden und muss nicht erst darauf warten, bis eine Mission bei der Venus angekommen ist."

Milojevic gibt zu bedenken, dass auch zur Erzeugung von Phosphin durch Mikroben auf der Erde viele Fragen offen sind. Ob das Gas tatsächlich als Biosignatur taugt, müsse erst geklärt werden, denn es könne auch gut sein, dass Phosphin chemisch in der Natur entstehen kann. "Es gibt hunderte verschiedene Möglichkeiten, wie Phosphin im Labor synthetisiert werden kann. Dass wir bei unserem gegenwärtigen Wissenschaftsstand nicht genau sagen können, wie Phosphin in der Natur produziert werden kann, hat fast etwas Enigmatisches."

Viele Fragezeichen

Für die österreichische Astrophysikerin Lisa Kaltenegger, die derzeit an der Cornell University in Ithaca, New York, Atmosphären erdähnlicher Planeten erforscht, ist die Phosphinmessung ein "guter Anstoß, die Venus besser zu erforschen und besser zu modellieren". Um herauszufinden, ob das Gas tatsächlich von Leben stammt, gebe noch viel zu lernen. "Eine Frage ist, ob wir die Venus-Atmosphäre gut genug verstehen, um sicher sagen zu können, ob das Gas Lebensspuren darstellt", so die Forscherin.

Auch Franz Kerschbaum, Professor für Astrophysik an der Universität Wien, sieht in der Phosphinentdeckung einen "guten Grund, noch genauer hinzuschauen, um die Atmosphärenchemie der Venus besser zu verstehen." Die Sichtweise, dass es in der oberen Venusatmosphäre lebensfreundlichere Bedingungen geben könnte, sei nicht neu, so Kerschbaum. "Mit dem Alma-Radiointerferometer der Europäischen Südsternwarte hat man nun genau in den lebensfreundlichsten Regionen der Venusatmosphäre Moleküle nachgewiesen, für die wir bisher keine plausible anorganische Produktionsweise kennen."

Vorrang für die Venus

Die österreichische Astrobiologin Pascale Ehrenfreund (Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt) hält Leben in der Venus-Atmosphäre für "nicht sehr wahrscheinlich" und verweist auf wissenschaftliche Ergebnisse der vergangenen Jahre. Diese hätten gezeigt, dass es in der Vergangenheit über lange Zeit stabile Bedingungen und auch flüssiges Wasser auf der Venus gegeben haben könnte, bis ein extremer Treibhauseffekt den Planeten lebensfeindlich machte. Um zu klären, ob es doch einen Zusammenhang des Phosphingases mit Leben in der Atmosphäre geben könnte, müsse man die Entstehungsprozesse genauer verstehen.

Auch Vertreter der großen Raumfahrtnationen haben sich in der Sache schon zu Wort gemeldet. Jim Bridenstine, Chef der US-Weltraumbehörde Nasa, nannte die Entdeckung die "bisher bedeutendste Entwicklung bei der Suche nach Hinweisen auf Leben fern der Erde". Er verwies darauf, dass die Nasa vor zehn Jahren Mikroben rund 12.000 Kilometer über der Erde in der oberen Atmosphäre entdeckt hatte. Nun sei es an der Zeit, bei der Suche nach außerirdischem Leben "der Venus Vorrang einzuräumen".

Russische Ankündigung

Bridenstines russischer Kollege, Dmitri Rogosin, Chef der Raumfahrtbehörde Roskosmos, ging noch einen Schritt weiter und kündigte am Dienstag bereits eine neue Mission zu unserem inneren Nachbarplaneten an. "Die Venus-Erforschung muss wieder aufgenommen werden", sagte Rogosin in Moskau. Das sehe das Weltraumprogramm für die Jahre 2021 bis 2030 vor. Ursprünglich sei eine gemeinsame Mission mit der Nasa geplant gewesen, nun wolle man aber ein weiteres Projekt "ohne breite internationale Zusammenarbeit" durchführen. Offen blieb, wann eine russische Sonde zur Nachbarin aufbrechen könnte. (Tanja Traxler, David Rennert, 16.9.2020)