Das Virus kommt mit den Auto, warnte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unlängst – Türkis-Grün sieht nun sogar Benützungsverbote für private Pkws vor.

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Das überarbeitete Corona-Maßnahmengesetz aus dem Gesundheitsressort von Rudolf Anschober (Grüne) soll die Regeln für neue Betretungsverbote und Ausgangsbeschränkungen festlegen, wenn die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen. In puncto Verhältnismäßigkeit und Präzision ist der Entwurf, bis Freitag erneut in Begutachtung, zwar eine bessere Grundlage als die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Verordnung, sagt der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger. Der Experte versteht aber nicht, warum sich die Regierung damit so lange Zeit gelassen hat. Nun schafft man erst knapp vor dem epidemiologisch herausfordernden Herbst und Winter die nötige Legistik, um weitreichende Verschärfungen für das öffentliche Leben verhängen zu können. Denn alles, was bis heute gilt, fußt noch auf alten Gesetzen. "Das ist eine Zumutung", sagt Bußjäger.

Änderung des COVID-19-Maßnahmengesetzes
Anwendungsbereich und allgemeine Bestimmungen
§ 1.(1) Dieses Bundesgesetz ermächtigt zur Regelung des Betretens und des Befahrens als gesundheitspolizeiliche Maßnahme zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Covid-19.
(2) Als Betreten im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt auch das Verweilen.
(3) Bestimmte Orte im Sinne dieses Bundesgesetzes umfassen bestimmte öffentliche und bestimmte private Orte mit Ausnahme des privaten Wohnbereichs.
(4) Öffentliche Orte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind solche, die von einem nicht von vornherein bestimmten Personenkreis betreten werden können.

In der Eingangspassage wird eher schwammig festgehalten, welche Maßnahmen "zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Covid-19" zu setzen sind. Als Kriterien dafür werden die Parameter der Corona-Ampel (neue Covid-Fälle und Cluster, Ressourcen und Kapazitäten im Gesundheitsbereich sowie regionale Besonderheiten) angeführt. Allein: Die Ampel gilt bereits jetzt als ramponiert.

Fünf Gründe für einen Ausgang

Ausgangsregelung
(2) Zwecke gemäß Abs. 1,
zu denen ein Verlassen des privaten Wohnbereichs jedenfalls zulässig ist, sind:
1. Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum,
2. Betreuung von und Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen,
3. Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens,
4. berufliche Zwecke, sofern dies erforderlich ist, und
5. Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung.

Während der Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr wiederholte die türkis-grüne Regierung mantraartig die berühmten "vier Gründe, das Haus zu verlassen". Zugrunde lag dem eine Verordnung des Gesundheitsressorts – und wer sich nicht daran hielt, für den konnte es saftige Strafen setzen. Erst später stellte sich – auch durch den Spruch des Verfassungsgerichtshofs – heraus, dass die Restriktionen für Ausgänge zu überschießend waren, das bis dahin bestehende Gesetz gab das nicht her. Im aktuellen Gesetzestext, derzeit in Begutachtung, werden die Gründe, um das Haus zu verlassen, deswegen jetzt explizit festgeschrieben. Weniger betont, aber stets rechtens war bisher freilich auch, bei "unmittelbarer Gefahr für Leib, Leben und Eigentum" ins Freie zu flüchten. Ist die gesamte Passage diesmal rechtlich gedeckt? Ja, sagen Juristen – weil sie legistisch präzisiert wurde.

Die Privat-Pkw-Passage

Aus den Erläuterungen:
Zu Z 5 (§ 3): (…) Klargestellt wird, dass von dieser Bestimmung auch private Verkehrsmittel umfasst sind.

Schon in der ersten Begutachtungsphase monierten Juristen, dass bei einem erneuten Lockdown mit dem Betretungsverbot für Verkehrsmittel sogar private Fahrzeuge erfasst werden können. In den Erläuterungen zum überarbeiteten Gesetzestext aus Anschobers Ressort heißt es nun: "Dies ist zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 insofern erforderlich, als insbesondere auch in privaten Fahrgemeinschaften mit haushaltsfremden Personen ungünstige epidemiologische Verhältnisse herrschen können." Beschränkungen müssten freilich "verhältnismäßig" sein.

Hausdurchsuchungen befürchtet

Zu den Behördenkontrollen:
§ 9. (1) (…) Dazu sind die Organe der Bezirksverwaltungsbehörde und die von ihnen herangezogenen Sachverständigen berechtigt, Betriebsstätten, Arbeitsorte, Verkehrsmittel und bestimmte Orte zu betreten und zu besichtigen sowie in alle Unterlagen Einsicht zu nehmen und Beweismittel zu sichern.

Eine Stelle im türkis-grünen Lockdown-Entwurf schreckte zu Wochenbeginn Anwälte, Unternehmer und auch Journalisten auf: Denn den Behörden wird darin im Zuge von Corona-bedingten Kontrollen in Betriebsstätten und an Arbeitsorten eingeräumt, "in alle Unterlagen Einsicht zu nehmen und Beweismittel zu sichern" – was für die Neos "Hausdurchsuchungen gleichkommt".

Am Dienstag bezeichnete die Journalistengewerkschaft in der GPA-djp diese Passage als "inakzeptabel" – sie zeigte sich besorgt, dass unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung beim Sichten von Unterlagen in Medienhäusern oder gar im Homeoffice das Redaktionsgeheimnis samt Pressefreiheit ausgehebelt werden könnte. Das Gesundheitsministerium unter Anschober wies ein derartiges Ansinnen zurück – für den finalen Gesetzestext hat sein Ressort noch Präzisierungen angekündigt.

Regionale Durchgriffsrechte

Zuständigkeiten
1. vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen, wenn sich ihre Geltung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt,
2. vom Landeshauptmann zu erlassen, wenn sich ihre Geltung auf das gesamte Landesgebiet erstreckt, oder
3. von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, wenn sich ihre Geltung auf den politischen Bezirk erstreckt.

Für den Fall eines erneuten Herunterfahrens des öffentlichen Lebens honoriert die rot-pinke Opposition zwar, dass der Gesundheitsminister künftig den Hauptausschuss des Nationalrats – und damit alle Parteien – befassen muss. Einen ähnlichen Kontrollmechanismus gebe es jedoch nicht für die Landeshauptleute oder Bezirkschefs, wenn sie regionale Lockdowns planen, kritisieren die Neos.

Verfassungsjurist Bußjäger gibt zu bedenken, dass eine Änderung verfassungsrechtlich schwierig wäre. Im Sinne der mittelbaren Bundesverwaltung sei der Minister in der Krise eben der Chef und der Landeshauptmann ihm gegenüber verantwortlich. (Jan Michael Marchart, Nina Weißensteiner, 16.9.2020)