München – Die Bilder des Langläufers Max Hauke, von einer Polizeirazzia überrascht, im Arm noch die Nadel der Bluttransfusion, führten der Sportwelt Anfang 2019 die Dopingrealität mit ungekannter Offenheit vor Augen. Mehr als eineinhalb Jahre nach der spektakulären Operation Aderlass stehen nun die mutmaßlichen Hintermänner vor Gericht. Der Erfurter Sportmediziner Mark S. muss sich in einem der größten Dopingprozesse Deutschlands ab Mittwoch vor dem Münchner Landgericht II zusammen mit vier Mitangeklagten verantworten, ihm droht eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren.

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In Seefeld kamen die Ausmaße der Operation Aderlass ans Tageslicht.
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Die Staatsanwaltschaft wirft ihm regelmäßige Dopingpraktiken seit spätestens Ende 2011 und in einer unbekannten Vielzahl von Fällen vor. Rund dreißig Zeugen sind geladen, ein Urteil könnte kurz vor Weihnachten fallen. Doch mit Spannung wird vor allem erwartet: Gibt es womöglich noch neue Erkenntnisse? "Gespannt bin ich, weil ich hoffe, dass wir vielleicht durch eine Aussage von Mark S. noch umfangreichere Dinge erfahren", sagt der Sportrechtler Michael Lehner.

"Größeres System"

Lehner hat den österreichischen Langläufer Johannes Dürr vertreten, der als Kronzeuge die Ermittlungen ins Rollen gebracht hatte. "Ich sage es mal vorsichtig: Es kann und müsste mehr als das herauskommen, was wir jetzt wissen. Es sind sicherlich noch mehr Sportler involviert, das System wird größer gewesen sein."

Gedopt wurde bei den Olympischen Spielen 2014, 2016 und 2018, der Tour de France 2018, beim Giro d’Italia 2016 und 2018, bei der Vuelta 2017, der nordischen Ski-WM 2017 sowie bei weiteren Rad- und Wintersportevents. Zumindest 23 Sportler aus acht Ländern waren involviert. In Österreich wurden neben anderen die Ex-Langläufer Dominik Baldauf, Max Hauke und Dürr sowie Georg Preidler (Rad) bereits zu bedingten Haftstrafen verurteilt.

"Grandiose Beweislage"

"Ohne dem Prozess vorzugreifen, aber die Ermittlungen alleine zeigen schon, dass es ein weltumfassendes, systematisches Dopingkonstrukt war, das der Angeklagte über Jahre aufgebaut hat", sagt Lars Mortsiefer, Vorstand der deutschen Anti-Doping-Agentur Nada. Staatsanwalt Kai Gräber sprach von einer "grandiosen Beweislage", unter anderem wurden bei Durchsuchungen dutzende Blutbeutel sichergestellt. "Einstein", "Girl" oder "No Name" hießen die Tarnnamen von Athleten auf Blutbeuteln, die tiefgefroren in einer Garage lagerten. Zum Blutaustausch traf sich Mark S. laut den Ermittlungen mit den Klienten auf Autobahnraststätten, in Hotels oder an Flughäfen.

Viel wird also von Mark S. und einer möglichen Aussage abhängen. "Mich würde interessieren: Wie sind die Beschaffungslinien? Steckt noch jemand dahinter, vielleicht eine Dopingmafia, oder war Mark S. alleine? Gibt es große Namen?", fragt Lehner. "Bei so einer großen Maschine zur Blutaufbereitung, die von S. erworben wurde – das muss sich ja schon rein wirtschaftlich lohnen. Da müssen viel mehr Personen involviert gewesen sein."

Mark S. sitzt seit mehr als 16 Monaten in Untersuchungshaft. Die Frage wird sein, ob er versucht, quasi günstig davonzukommen. Lehner würde dem Angeklagten "von außen raten: Komm, lass die Hosen runter. Alles andere ist ein großer Nachteil für dich." (sid, APA, red, 16.9.2020)