Kommissionspräsidentin von der Leyen referierte über die Lage der Union.

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Brüssel – Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert, den Treibhausgasausstoß in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen. Die drastische Verschärfung des EU-Klimaziels schlug von der Leyen am Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union in Brüssel vor. Bisher lautet das offizielle Ziel minus 40 Prozent.

Die Verschärfung auf "mindestens 55 Prozent" soll helfen, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten und eine für die Menschheit gefährliche Erhitzung der Erde zu stoppen. Das neue Ziel muss aber in den nächsten Wochen noch mit dem Europaparlament und den Mitgliedsstaaten geklärt werden.

Sie wisse, dass einigen diese Erhöhung des Einsparziels zu viel sei und anderen nicht genug, sagte von der Leyen. Doch habe die Folgenabschätzung der EU-Kommission eindeutig ergeben, dass die Wirtschaft und Industrie die Verschärfung bewältigen könnten. Aus ihrer Sicht sei die Zielvorgabe ehrgeizig, machbar und gut für Europa, sagte von der Leyen.

"Machbar und günstig"

Bereits am Wochenende war ein "Klimazielplan" der Kommission bekannt geworden, der die anvisierte Verschärfung ausführlich begründete. Diese sei machbar und günstig für die Gesundheit, den Wohlstand und das Wohlergehen unserer Bürger, heißt es darin.

Doch müssten dafür allein die Investitionen in Energieproduktion und -nutzung im Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren um jährlich 350 Milliarden Euro gesteigert werden. Der Verbrauch von Kohle soll im Vergleich zu 2015 um 70 Prozent sinken, der Anteil von erneuerbaren Energien am gesamten Energieverbrauch auf bis zu 40 Prozent steigen. Ältere Gebäude müssten im doppelten Tempo wie bisher saniert und "klimafit" gemacht werden.

Zudem müssten einige Vorgaben für Energiewirtschaft und Industrie weiter verschärft werden, darunter die CO2-Grenzwerte für Autos. Das Emissionshandelssystem ETS, das bisher nur Kraftwerke und Fabriken einschließt, soll auf Gebäude und Verkehr ausgedehnt werden.

Mehr Geld für Gesundheit

Für die Zeit nach der Corona-Krise fordert von der Leyen mehr Macht und mehr Geld für die Union in Gesundheitsfrage. "Für mich liegt klar auf der Hand: Wir müssen eine stärkere Europäische Gesundheitsunion schaffen, es ist Zeit", sagte von der Leyen.

Konkret schlug sie eine neue EU-Agentur für biomedizinische Forschung und Entwicklung vor. Zudem drängte sie das Europaparlament, mehr Mittel für das Gesundheitsprogramm "EU4Health" auszuhandeln. Grundsätzlich müsse man über die Zuständigkeiten in Sachen Gesundheit sprechen. Das sei eine lohnende und dringende Aufgabe für die geplante Konferenz über die Zukunft Europas.

Gipfel in Italien

Darüber hinaus werde sie im nächsten Jahr einen globalen Gesundheitsgipfel in Italien vorschlagen, sagte von der Leyen. Die Einladung werde sie gemeinsam mit Ministerpräsident Giuseppe Conte aussprechen, der den Vorsitz der G20 innehaben werde.

Man müsse dafür sorgen, dass die EU für künftige Krisen besser gewappnet sei und auf grenzübergreifende Gesundheitsgefahren reagieren könne. Von der Leyen würdigte erneut die Leistungen vor allem von Ärzten und Pflegern in der Corona-Krise und bekräftigte, dass Europa nach anfänglichem Egoismus den Wert der Gemeinsamkeiten wiederentdeckt habe.

Doch habe die Pandemie gezeigt, wie fragil und verletzlich die Welt, aber auch die europäische Wertegemeinschaft sei. Die Menschen wollten diese Unsicherheit hinter sich lassen. Sie seien bereit für einen Neuanfang. "Europa muss nun den Weg weisen, um diese Unsicherheit in neue Kraft umzumünzen", erklärte von der Leyen. (red, APA, 16.9.2020)