Zehn Meter misst das aus 0,35 Millimeter dicken Wänden bestehende Luftmuseum. Gefaltet passt es in einen VW-Bus.
Foto: Peter Mayr

"Wozu brauch ma des?", fragt eine Passantin. "So eine aufgeblasene Hüpfburg direkt vor dem Floridsdorfer Magistrat, das passt echt nicht da her", sagt ein Herr, der jeden Vormittag auf dem Bankerl sitzt und den Monteuren schon seit zwei Wochen beim Aufbau zuschaut. "Sowas g’hört auf die Donauinsel!" Bis sich schließlich eine junge Dame findet, die glaubt, das intendierte Zitat entschlüsselt zu haben: "Ah, jetzt weiß ich's! Das erinnert doch total an die Reichstagskuppel in Berlin, oder?"

Knapp verfehlt. Aber das scheint das Wiener Künstlerkollektiv God’s Entertainment nicht im Geringsten zu stören. Es muss ja nicht gleich jeder das berühmte New Yorker Kunstmuseum, errichtet 1959 nach Plänen von Frank Lloyd Wright, kennen und auch erkennen können. "Natürlich ist das Guggenheim eine Ikone", sagt die Organisatorin Maja Degirmendzic. "Aber auch ohne diese Assoziation soll unser kleines Guggenheim ein lustvolles Objekt sein, ein aufgeblasenes Ding, eine Hüpfburg von mir aus. Luftig-leichte Bilder sind uns alle recht."

Das GGGNHM. Guggenheim in Floridsdorf? – so der offizielle, rhetorisch ohnehin offen gelassene Titel der pneumatischen Installation Am Spitz – ist ein temporäres Kunstprojekt im öffentlichen Raum, das 2018 beim Call von Basiskultur Wien eingereicht und mit 100.000 Euro gefördert wurde. Es ist nicht nur Objekt, sondern auch Museum, Ausstellungsraum und Bühne für Lesungen, Diskussionen, Theaterperformances. Das selbstinitiierte Generalmotto über alle Veranstaltungen: Rememory.

Pop-up-Hüpfburg als Wahlzuckerl: Die Eröffnung des in Kooperation mit der Stadt Wien entstandenen Projekts ist wahrscheinlich kein Zufall kurz vor der Wien-Wahl.
Foto: Peter Mayr

Wer darf hier wählen?

Das vielfältige Programm, das heute, Donnerstag, von Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und Bezirksvorsteher Georg Papai (SPÖ) eröffnet wird, umfasst beispielsweise eine Aufführung über verschwundene Floridsdorfer NS-Opfer und Widerstandskämpferinnen, ein Konzert unter dem Titel Opus CCC, das sich mit der Dreifachkrise Capitalism, Climate und Corona beschäftigt, sowie die Outdoor-Schau Platz der Wahllosen mit Porträts von nicht wahlberechtigten in Österreich lebenden Menschen, die überlebensgroß an den Am Spitz gelegenen Gebäuden affichiert werden.

"Bevor 1918 das Frauenwahlrecht eingeführt wurde, war die Hälfte der österreichischen Bevölkerung im wahlfähigen Alter nicht wahlberechtigt", sagt der Wiener Künstler Karl Wratschko, der das GGGNHM gemeinsam mit God's Entertainment mitentwickelte.

"Heute hingegen sind rund 30 Prozent der Menschen im wahlfähigen Alter von diesem demokratischen Recht ausgeschlossen, weil sie nicht Besitzer der österreichischen Staatsbürgerschaft sind. Auf diese geschichtlich-gegenwärtigen Analogien möchten wir im Rahmen von Rememory hinweisen."

Eroberung der Außenbezirke

Das zehn Meter hohe Luft-Guggenheim ist eine aktuelle intelligente Antwort auf die Indoor-Abstandsregelungen durch Covid-19, passt aber auch perfekt in die Kulturpolitik von Kaup-Hasler, die mit ihren 2019 ins Leben gerufenen "Stadtlaboren" vor allem die Wiener Außenbezirke erobern möchte.

Als Kooperationsprojekt von Stadt Wien und Basiskultur Wien ist es gewiss auch kein Zufall, dass sich nach einem Corona-bedingt verschobenen Start ein paar Wochen vor der Wien-Wahl doch noch ein Eröffnungstermin gefunden hat. "Wir haben die Pneu-Elemente schon Ende letzten Jahres produzieren lassen", sagt der auf pneumatische, also aufblasbare, Konstruktionen spezialisierte Architekt Thomas Herzig. "Aufgrund des geringen Gewichts und des minimalen Materialeinsatzes sind solche Projekte für temporäre Zwecke bestens geeignet. Noch besser wäre es natürlich, das Museum, nachdem die Luft draußen und es in Einzelteile zerlegt ist, woanders wiederaufzubauen und zu touren." Im zusammengelegten Zustand passt das zehn Meter hohe Guggenheim mit seinen 0,35 Millimeter dicken Polyurethan-Wänden in einen VW-Kleinbus.

Die vielleicht schönste Reaktion der Bevölkerung auf das Floridsdorfer Guggenheim: "Etwas Ungewöhnliches in einem ungewöhnlichen Bezirk." Fragt sich nur: Was ist danach? Vergleicht man GGGNHM mit der Wiener Pop-up-Stadtpolitik, wie sie mit Pop-up-Radwegen, gesperrten Grätzelgassen oder der schon längst wieder abgebauten GürtelfrischeWest derzeit etwa im Ressort von Planungsstadträtin Birgit Hebein (Grüne) zelebriert wird, scheint der Langzeitnutzen des kurzen Wow-Moments nicht immer ausreichend kommuniziert. Da ist noch Luft nach oben. (Wojciech Czaja, 17.09.2020)