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Außenminister Alexander Schallenberg und Gesundheitsminister Rudolf Anschober am Mittwoch nach dem Ministerrat.

Foto: reuters/LEONHARD FOEGER

Die überraschende Ampelschaltung am Montagabend "ist aus meiner Sicht absolut richtig, weil es auch ein Weckruf in dieser Situation ist", verteidigte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Mittwoch nach dem Ministerrat das zuletzt für Verwirrung sorgende Corona-Tool der Regierung. Gemeinsam mit Außenminister Alexander Schallenberg und ohne Kanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP) stellte sich Anschober den Fragen der Presse.

Die Situation sei nach wie vor ernst, da mittlerweile nicht nur die Zahl der Neuinfektionen steige – diese lag am Mittwoch österreichweit bei 768 (bei 301 Genesenen) –, sondern auch die Zahl der Hospitalisierungen. Das Durchschnittsalter der Erkrankten in Österreich sei mit 35 bis 36 zwar noch niedriger als im Frühling mit 58, trotzdem müssten wieder "spürbar mehr" Patienten ins Krankenhaus. Genau das wolle man aber verhindern.

Sehr unterschiedliche Prognosen

Seit Dienstagabend liegen dem Gesundheitsminister drei sehr unterschiedliche Prognosen für die Zeit bis Ende September vor, die man als Grundlage für die Kapazitätenabschätzung heranziehe. Die positivste Prognose gehe von einer "relativ stabilen Einpendelung auf rund 650 Neuinfektionen pro Tag" aus, so Anschober, die schlechteste von 1.500 neuen Fällen täglich und der Annäherung an ein exponentielles Wachstum.

Anschober lobte die Gespräche mit Vertretern der orange gefärbten Regionen (neben Wien und Innsbruck die Bezirke Kufstein, Dornbirn, Bludenz, Mödling und Neunkirchen) am Mittwochvormittag. Strukturierte Großveranstaltungen mit Sicherheitskonzepten und klaren Regelungen im Abgang und Zugangsbereich sowie der Schulbetrieb seien derzeit nicht das Problem. Vielmehr habe man den neuen Begriff des "Après-Soccer" geprägt. Als Beispiel nannte Anschober kleine Vereine, die nach einem Match gemeinsam feiern und die Regeln des Frühjahrs "nicht mehr in den Köpfen haben", so Anschober. Überhaupt beobachte man Ausbrüche vermehrt bei privaten Feiern.

Der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi (Grüne) verlangte in einer eigenen Pressekonferenz nach dem Gespräch, ebenfalls die Möglichkeit für zusätzliche Sanktionen. Konkret sprach er von Lokalen, die nach der Sperrstunde die Türen schließen und als "geschlossene Gesellschaft" weiterfeiern würden.

Begutachtungsverfahren

Anschober hofft, dass das neue Covid-19-Maßnahmengesetz bis 1. Oktober in Kraft treten könne. Ein zweites Begutachtungsverfahren starte noch diese Woche, "wo wir auf Wünsche eingehen werden".

Bezirke und Länder werden zusätzlich zu den vom Bund vorgegebenen Maßnahmen Verschärfungen vornehmen können – das soll durch das Parlament auch juristisch abgesichert werden. Anschober nannte hier den Mund-Nasen-Schutz, wie er etwa im Sommer in Kärntner Tourismusgemeinden verlangt wurde.

Eine Verpflichtung für Gastronomen, die Daten ihrer Gäste zu speichern, wird es nicht geben, freiwillig sei das aber wünschenswert für erfolgreiches Contact-Tracing.

Zudem wolle man alles daransetzen, dass die Testungen und das Contact-Tracing schneller funktionieren. Es dürften nicht mehr als 48 Stunden vom Anruf bei 1450 bis zum Testergebnis vergehen, so Anschober. Und nur 24 Stunden habe man Zeit, um Kontaktpersonen eines Patienten ausfindig zu machen. "Jeder zusätzliche Tag ist ein Tag, an dem es zu Ansteckungen kommen kann", betonte Anschober. Dafür sollen Screening-Programme sofort ausgeweitet werden.

Die Homepage corona-ampel.gv.at wird künftig erweitert, sodass man nicht nur sehen kann, welche Farbe jede Region habe, sondern auch, welche Maßnahmen dort jeweils gelten.

Vorbild Lawinenwarndienst

Anschober verteidigte die Ampel, die sich nach dem Vorbild der Lawinenwarndienste richte, nicht nur, er lobte die Ampelkommission, die ihre Risikoanalyse "mittlerweile so professionell wie wenige in Europa" ausführe. Es habe aber Missverständnisse gegeben: Die Leitlinien seien immer nur als Arbeitsgrundlage gedacht gewesen.

Auch die Sicherstellung von Schutzbekleidung und Masken für alle betroffenen Gruppen – neben niedergelassenen Ärzten etwa auch die 24-Stunden-Pflege oder Therapeuten – wurde am Mittwoch beschlossen. Die Einkäufe für 30 Millionen Euro sollen von der Österreichischen Gesundheitskasse abgewickelt und vom Bund finanziert werden.

Ebenso auf der Agenda des Ministerrats war das Übereinkommen, dass es keine nationalen Alleingänge bei Impfstoff-Verhandlungen mit Pharmafirmen geben dürfe. Die EU verhandle derzeit mit sechs Pharmafirmen. Verträge werden in den nächsten Wochen vorliegen. Ziel sei, dass es in Österreich für acht Millionen Menschen Impfungen gebe. Anschobers "Traum" wäre es, dass sich 50 Prozent der Bevölkerung impfen lassen.

Lockdown vermeiden

Die Regierung wolle "mit aller Kraft einen zweiten Lockdown vermeiden", so Anschober, "dafür müssen wir wieder dieses Österreich sein, das wir im Frühling waren". Hygienemaßnahmen, Masken und Anstandsregeln seien wichtiger denn je.

Gefragt, ob weitere Nachbarländer Österreich zum Risikogebiet erklären könnten, sagte Außenminister Schallenberg: "Wir befinden uns in einer heiklen Phase und werden genau beobachtet aus dem Ausland." Es gebe aber keine konkreten Hinweise darauf, dass andere Länder das tun würden. Man müsse in Österreich einfach "zur Kenntnis nehmen, dass wir uns wieder am Riemen reißen müssen". (Colette M. Schmidt, 16.9.2020)