Isabel Seebacher als Soldatin Viktoria in den Gletscherspalten.
Foto: Stiftung Haydn / Alessia Santambrogio

Eine Frau wie ein (vorgestriges) Mannsbild: jeder Zoll Härte und Selbstzucht. Die späte Therese Giehse (im Film Mädchen in Uniform) im drahtigen Körper von Lotte Lenya (in Liebesgrüße aus Moskau) heißt Viktoria Savs. Auf der Bühne des Theater Akzent schreibt man das Jahr 1967. Eine Gruppe von Kriegsveteranen feiert in den Dolomiten den 50. Jahrestag der Schlacht, in der die rüstige Kämpferin einst ein Bein verloren hatte.

In einer terrassenartig ansteigenden Gletscherspaltenszenerie (Bühnenbild und Inszenierung: Mirella Weingarten) erinnern sich die leichenblassen Kameraden an das glorreiche Gestern. Wie hat die gefeierte Heldin ihren "Hachsen" (sic!) verloren: durch einen Felssturz? Ein "friendly fire"? Hat sie sich ihr angeschossenes Bein tatsächlich selbst mit einer Rasierklinge abgeschnitten?

Sprachschönheit und kalte Flamme

In Manuela Kerers Oper Toteis wird an die ungewöhnliche Geschichte einer Frau erinnert, die im Ersten Weltkrieg an der Front gedient hat: Die in der Nähe von Meran bei ihrem Vater aufgewachsene Viktoria Savs (1899–1979), das "Heldenmädchen von den Drei Zinnen", wurde dafür mit Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet; auch die NS-Propaganda wusste die Geschichte der Soldatin zu verwerten.

Martin Plattner hat für die Oper ein starkes Libretto verfasst, das eine geerdete, leicht altertümliche Sprachschönheit mit einer gekonnten Dramaturgie vereint: eine erstklassige, in der Turrini-Nachfolge stehende Kraft. Als Toteis, so steht’s im Programmheft, wird vom Gletscher abgetrenntes, bewegungslos gewordenes Eis bezeichnet, das vom Schmelzwasser mit Schottern überdeckt wird und lange nicht schmilzt. Die Menschen "erkennen nicht das Toteis meiner Wunden", klagt die einbeinige Eiskönigin in einer großen Szene, die "kalte Flamme, die in mir brennt".

Karge Gletscher, schmerzhafte Klänge

Manuela Kerer erfindet für die inneren und äußeren Gletscherwelten karge, spröde, oft auch schmerzhaft gleißende Klänge. Verstimmte Instrumente illustrieren verstimmte Gemüter, Atemgeräusche (Pfauch! Röchel! Hechel! Zisch!) des Chors (Wiener Kammerchor) wechseln mit Momenten der Tonalität und verfremdeter Volksmusik. Zeitweise wirkt die Geräusch- und Klangarbeit der gebürtigen Südtirolerin wie eine Parodie auf zeitgenössische Musik. Walter Kobéra, der dirigierende Intendant der Neuen Oper Wien, setzt diese mit dem Amadeus Ensemble Wien mit interpretatorischem Ernst um.

Die zentrale Partie der Viktoria gestaltet Isabel Seebacher so souverän wie intensiv: eine Großtat. Seebacher trägt den Abend zusammen mit Alexander Kaimbacher (Doppelrolle: Luis sowie Savs’ Vater Peter). Trittsicher bewältigen beide die zackigen Gesangslinien, die an die Bergprofile der Dolomiten erinnern. Berührend gibt Bernhard Landauer den Hansl, den Mobbing-Hotspot der dörflichen Männergesellschaft. Freundlicher Premierenapplaus für eine (mit der Stiftung Haydn für Bozen und Trient koproduzierten) Produktion, die sich in Summe doch auf zu eintönige Weise der großen Tragödie hingibt. (Stefan Ender, 16.9.2020)